Renate Künast, Jürgen Trittin, Volker Beck, Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Tom Koenigs, Jerzy Montag, Konstantin von Notz, Manuel Sarrazin, Hans-Christian Ströbele, Wolfgang Wieland, Josef Winkler (Bundestagsfraktion)
Claudia Roth, Cem Özdemir, Malte Spitz (Bundesvorstand)
Jan Philipp Albrecht, Barbara Lochbihler, Franziska Keller (Europafraktion)
Till Steffen (Justizsenator Hamburg)

Für starke Grundrechte in Europa

Das Stockholmer Programm für die Innen- und Rechtspolitik der Europäischen Union soll Anfang Dezember verabschiedet werden. Es erhebt den Anspruch, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der BürgerInnen zu schaffen. Es soll ein Europa verwirklichen, das BürgerInnen, Flüchtlingen und MigrantInnen solidarisch Schutz bietet und als Garant der Grundrechte und Grundfreiheiten agiert.

Allerdings werden die einzelnen Maßnahmenvorschläge des Programms seinen erklärten Zielen häufig nicht gerecht, sondern verkehrt sie sogar in ihr Gegenteil. Anstelle einer Stärkung der Grundrechte droht ein Mehr an Überwachung. Anstelle europaweit geltender Mindeststandards für Beschuldigte werden nur die Ermittlungsbefugnisse erweitert. Anstatt Solidarität gegenüber Flüchtlingen zu zeigen, wird die Abschottung Europas eher verstärkt.

Wir Grüne wollen die europäische Integration in der Innen-, Rechts- und Flüchtlingspolitik vertiefen, aber nicht zu Lasten der Bürgerrechte, sondern durch Stärkung der Freiheit und wirksamen Ausbau der Grundrechte. Daher fordern wir:

1. Europäische Innenpolitik muss rechtsstaatliche Innenpolitik sein

Eine wirksame europäische Kooperation bei der Bekämpfung von Terrorismus und Kriminalität ist richtig. Wir wehren uns aber gegen ein Übermaß an Institutionen und Eingriffsbefugnissen und ein Zuwenig an Kontrolle der Sicherheitsapparate. Die Erweiterung europäischer Kompetenzen braucht wirksamen Grundrechtsschutz, Transparenz und demokratische Kontrolle. Europäisierung darf nicht für die Aushöhlung des Rechtsstaats und des Grundrechtsschutzes missbraucht werden.

2. Die Rechtspolitik der EU bürgerrechtlich gestalten

In der Vergangenheit ist schwerpunktmäßig der Raum der Sicherheit ausgebaut worden, während Freiheit und Recht der EU-Bürgerinnen und -Bürger vernachlässigt wurden. Wir fordern europaweit geltende strafrechtliche Verfahrensgarantien auf hohem Niveau. Darüber hinaus setzen wir uns für den Aufbau einer starken europäischen Strafverteidigervereinigung ein als Gegengewicht zu den bislang einseitig gestärkten Eingriffsbefugnissen von Ermittlungsbehörden.

3. Privatsphäre und Datenschutz sind europäisches Bürgerrecht

Internationale Zusammenarbeit bedeutet auch internationalen Datenaustausch. Aber: Die europäische Kooperation darf nur unter höchsten Datenschutzstandards erfolgen. Datensparsamkeit, Zweckbindung und wirksamer Rechtsschutz sind von zentraler Bedeutung. Die Schaffung und Verknüpfung riesiger Datenbanken, die die Bürgerinnen und Bürger europaweit erfassen, lehnen wir strikt ab. Die Europäische Union muss die Privatsphäre der Menschen schützen und darf sie nicht durch Datensammlung, unkontrollierten Zugriff und umfassende Weitergabe von Daten gefährden.

4. Recht und Grundrechte im Netz

Straftaten im Internet müssen selbstverständlich verfolgt, strafbare Inhalte, Online-Betrug, Phishing und Identitätsklau wirksam bekämpft werden. Europäische Zusammenarbeit ist die richtige Antwort auf den internationalen Charakter des Internets. Für uns ist dabei jedoch klar: Gesetze und Bürgerrechte müssen off- wie online gelten. Maßnahmen zur allgemeinen Überwachung des Datenverkehrs lehnen wir daher genauso ab wie die Schaffung von Infrastrukturen, die eine Zensur ermöglichen.

5. Flüchtlings- und MigrantInnenschutz verwirklichen – Teilhabe von Nicht-EU-BürgerInnen erweitern

Wir setzen uns für eine humanitäre europäische Flüchtlingspolitik auf der Basis der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention ein. Die Sicherung der Außengrenzen Europas hat dazu geführt, dass der Zugang zum Asylverfahren für Flüchtlinge deutlich erschwert und zum Teil unmöglich gemacht wurde. Deshalb müssen zügig transparente und verbindliche Regelungen, die parlamentarisch kontrollierbar sind, zweierlei gewährleisten: Menschen, die vor den EU-Außengrenzen im Rahmen eines FRONTEX-Einsatzes aufgegriffen werden, müssen die Möglichkeit erhalten, in einem EU-Mitgliedstaat einen Asylantrag zu stellen. Zudem muss ein Verfahren entwickelt werden, wonach besonders Schutzbedürftige, wie z.B. Traumatisierte und unbegleitete Minderjährige, identifiziert und entsprechend ihrer Bedürftigkeit behandelt werden.

Das Stockholmer Programm ignoriert weitgehend die Millionen Menschen, die in der EU rechtmäßig leben, ohne die Unionsstaatsbürgerschaft zu haben. Diese dauerhaft in der EU wohnhaften MigrantInnen sind aber faktische EU-InländerInnen. Es fehlt ihnen bislang an elementaren Teilhaberechten. Das wollen wir ändern. Wir wollen ihre Rechte an die Rechte der EU-BürgerInnen in den Mitgliedsstaaten angleichen. Dazu zählen z.B. Bereiche wie Familienzusammenführung oder kommunales Wahlrecht.