Persönliche Erklärung Dr. Konstantin von Notz zum Abstimmungsverhalten im Bundestag bezüglich der Mandatsverlängerung für den ISAF-Einsatz in Afghanistan

Erneut hat sich der Bundestag mit der Mandatsverlängerung für die Auslandseinsätze der Bundeswehr befasst. Das Mandat für den ISAF-Einsatz in Afghanistan wurde verlängert. Meine Entscheidung, mich bei der Entscheidung zu enthalten, habe ich mir nicht leicht gemacht. Sie ist das Resultat eines langen Abwägungsprozesses. In ihn habe ich sowohl die Ergebnisse langer innerfraktionelle Debatten als auch die Meinung von ausgewiesenen Afghanistanexperten einfließen lassen.

Im Eiltempo wollte die Bundesregierung ein neues 12-monatiges ISAF-Mandat für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan durch den Bundestag bringen. Wesentlicher Bestandteil ist eine Truppenerhöhung um 850 Soldatinnen und Soldaten. In einer Regierungserklärung hat Außenminister Westerwelle im Bundestag die Truppenerhöhung und den veränderten Ansatz der Regierung vorgestellt. Die Bewertung muss ambivalent ausfallen: Zwar sind die Stärkung des zivilen Aufbaus und die Verständigung auf eine Abzugsperspektive positiv, die künftigen politischen Ziele der Bundesregierung für Afghanistan bleiben jedoch schwammig. So setzt man im Polizeibereich die Halbherzigkeit fort. Zudem bewerte ich die angekündigte militärische Truppenaufstockung als höchst problematisch.

Sowohl die angekündigte deutliche Truppenaufstockung der internationale Gemeinschaft als auch die der deutschen Bundesregierung muss kritisch gesehen werden. Das gilt auch für den Norden, in dem nicht nur die zusätzlichen 850 Bundeswehrsoldaten, sondern auch 5.000 amerikanische Soldaten neu stationiert werden. Die Bundesregierung begründet diese Aufstockung mit einer Verstärkung der Ausbildungsbemühungen der afghanischen Truppen.

Dieses Argument hat die Regierung bereits bei der letzten Truppenausstockung bemüht, als 1000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan geschickt wurden. Trotz der damaligen großen Aufstockung werden bisher nur 280 Soldatinnen und Soldaten für die Ausbildung eingesetzt werden. Die Begründung der Bundesregierung überzeugt daher nicht. Eine Alternative wäre eine weitere Umschichtung im bestehenden Mandat. Dazu könnten beispielsweise die faktisch überflüssigen TORNADO-Aufklärungsflugzeuge abgezogen werden.

Ohne Zweifel ist die derzeitige Situation in Afghanistan sehr schwierig, die Zustände im Land nach wie vor fragil. Dies haben mir die außenpolitischen Expertinnen und Experten meiner Fraktion, die in den letzten Monaten zahlreich im Land unterwegs waren, bestätigt.

Noch immer destabilisieren Warlords, Taliban, Al-Quaida, korrupte Verwaltungs-Beamte und ein unter fragwürdigen Umständen gewählter Präsident das Land. Noch immer ist der afghanische Staat nicht in der Lage, eigenständig für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen.

Gleichzeitig, auch das haben mir zahlreiche Experten bestätigt, würde eine sofortige Beendigung des ISAF-Einsatzes das Land sehr wahrscheinlich in einen Bürgerkrieg führen. Dennoch, dass muss man eingestehen, sind die Erfolge der internationalen militärischen Präsenz bislang mehr als dürftig. Auch weiterhin stehen die Mittel für Militär und zivilen Aufbau in keinem verantwortbaren Verhältnis. Eine Evaluierung der bisherigen Erfolge – und Misserfolge – findet nicht statt.

Zwar hat die Bundesregierung in der Bundestagsdebatte betont, dass 2011 mit einem Abzug der Truppen begonnen werden soll und in fünf Jahrendie afghanische Regierung die Verantwortung für die äußere und innere Sicherheit Afghanistans übernehmen soll, es fehlen aber zugleich präzise Zwischenziele für die Umsetzung dieses Zeitplans. Die Bundesregierung vertagt auch weiterhin wesentliche Entscheidungen und lässt nach wie vor offen, was sie wann wie erreichen will. Diese Situation ist weder für die Menschen in Afghanistan, noch für die humanitären Helferinnen und Helfer im Land, noch für unsere Soldatinnen und Soldaten akzeptabel.

Aus diesem Grund kann ich der Verlängerung des Mandats ohne substantielle Kurskorrektur auch weiterhin nicht zustimmen. Dennoch stehen wir, das ist meine Überzeugung, in der Verantwortung, den Wiederaufbau des Landes und die Frauen und Männer, die in den letzten Jahren Verantwortung in der Zivilgesellschaft übernommen haben – sei es als LehrerInnen, PolitikerInnen, an Universitäten usw. – auch weiterhin zu unterstützen.

Auch aus diesem Grund habe ich mich bei der Abstimmung im Bundestag enthalten.

Dr. Konstantin von Notz