Rede vom 08.07.2010: „SWIFT-Abkommen mit den USA“

Die heute im Europäischen Parlament von Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen beschlossene Zustimmung zum SWIFT-Abkommen markiert einen Tiefpunkt europäischer Grundrechts- und Datenschutzpolitik. Wir Grüne sind besorgt, wie leichtfertig eine Mehrheit des Europäischen Parlaments sein gerade in der Haltung zum ersten SWIFT-Abkommen erreichtes – zugegebenermaßen noch zartes – bürgerrechtliches Profil wieder verspielt. Noch besorgter macht uns, wie in diesem Zusammenhang die schwarz-gelbe Bundesregierung die Alternativlosigkeit ihrer Entscheidung betont, dem nun ausgehandelten Abkommen zuzustimmen. Alternativlosigkeit wird in diesen Tagen immer öfter zum Mantra derjenigen, die mit einer Geste des Achselzuckens ihre fehlende innere Überzeugung und ihren fehlenden politischen Gestaltungswillen offenbaren.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat in der gestrigen Sitzung des Innenausschusses zu Recht darauf hingewiesen, welche Spielräume für Verhandlungen es tatsächlich gab. Denn sehr schnell waren die amerikanischen Verhandlungsführer von ihrer Drohung eines unilateralen Vorgehens und der völligen Ablehnung von Neuverhandlungen abgerückt, als sie merkten, dass der Widerstand der EU gegen ihr Vorgehen in Sachen SWIFT auch nach der Entscheidung des Europäischen Parlaments Bestand hatte. Ganz im Gegensatz zum transatlantischen Streit um die Fluggastdaten – eine weitere bürgerrechtliche Leiche im Keller der EU – verfügen die USA im Fall von SWIFT auch nicht mehr über das Druckmittel des unmittelbaren Zugriffs auf die fraglichen Server. Der Druck der Datenschützer hatte nach Bekanntwerden der heimlichen Datenweitergabe an US-Behörden ja gerade dazu geführt, dass die in den USA befindlichen Server des Unternehmens SWIFT dort abgebaut und nach Europa gebracht wurden. Die damit eröffneten Verhandlungsspielräume sind von der Kommission jedoch leider nicht genutzt worden, um die hohen europäischen Datenschutzstandards zu wahren und durchzusetzen und die Bürgerinnen und Bürger vor einem Ausverkauf ihrer Daten zu schützen.

Deshalb lehnen wir auch das nunmehr zustande gekommene zweite SWIFT-Abkommen ab. Mit unserem Antrag, den wir hier gleich abstimmen werden, appellieren wir an die Bundesregierung, sich die bestehenden datenschutz- und verfassungsrechtlichen Bedenken zu Herzen zu nehmen und gegen das Abkommen in der noch offenen Abstimmung des Rates zum EP-Beschluss zu stimmen. Nur so kann die Bundesregierung ihrer Verantwortung für den Schutz der Grundrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger gerecht werden.

Besondere Aufmerksamkeit in diesem Kampf um Bürgerrechte verdient erneut die FDP. Denn heute wissen wir: Die jüngsten Ankündigungen der zumindest einstmals Liberalen, sich angesichts des desolaten Zustands der Partei und der eigenen Programmatik wieder verstärkt auf den Bereich der Bürgerrechtspolitik zu konzentrieren, war reine Rhetorik.

Noch auf ihrem Parteitag im April beschloss die FDP mit Blick auf das SWIFT-Abkommen, die Datenübermittlung „in Paketen“ auszuschließen. Wörtlich heißt es in dem von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger vorbereiteten Antrag: „Die FDP lehnt einen präventiven Datenaustausch ab.“ Denn in der Tat handelt es sich bei dem nun vereinbarten Datenaustausch um eine Vorratsdatenspeicherung, weil circa 97 Prozent der zu übermittelnden Bankdaten unbescholtene und unverdächtige Bürgerinnen und Bürger betreffen. Das SWIFT-Abkommen wäre für die FDP eine ideale Gelegenheit gewesen, ihren bürgerrechtlichen Ankündigungen auch tatsächlich Taten folgen zu lassen. Doch geschehen ist zu wenig. Noch nicht einmal von einer koalitionsinternen Debatte war der leiseste Ton zu hören.

Zu Beginn der Legislatur erweckte die Bundesjustizministerin wenigstens noch den Anschein, das SWIFT-Abkommen tatsächlich zu Fall bringen zu wollen – um es dann mit einer deutschen Enthaltung im Minister-rat klammheimlich durchzuwinken. Nun lässt Frau Leutheusser-Schnarrenberger dem Innenminister vollkommen freie Hand nach dem Motto „Wer nicht wagt, der kann auch nicht verlieren“. Sie versucht noch nicht einmal, den bürgerrechtlichen Anspruch der FDP zu untermauern, geschweige denn, die vollmundigen Parteitagsbeschlüsse umzusetzen.

Dass der für das SWIFT-Abkommen zuständige liberale Berichterstatter im Europaparlament nun auch noch versucht, das jetzt ausgehandelte Abkommen als einen „Durchbruch“ zu verkaufen, spottet angesichts der massiven nach wie vor bestehenden Bedenken, die im Übrigen auch der europäische Datenschutzbeauftragte teilt, jeder Beschreibung.

Genauso bedenklich ist der Versuch der Bundesregierung, die nun durch die USA gemachten Zugeständnisse bei SWIFT als ihre ureigenen Verhandlungserfolge zu verkaufen. Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/ CSU und FDP, nur um das noch einmal klarzustellen: Ihre Regierung war es doch, die das erste Abkommen mit ihrer Enthaltung durch den Rat gewinkt hat. Wenn es nach Ihnen gegangen wäre, hätten wir überhaupt keinen Spielraum für Nachverhandlungen gehabt. Wir hätten ein noch viel schlimmeres Abkommen bekommen als das, das wir jetzt vorliegen haben. Wäre es nach Ihnen gegangen, würden die hochsensiblen Bankdaten von über 500 Millionen Europäerinnen und Europäern weiter ohne Rechtsschutz und Kontrolle an die USA geliefert werden. Wäre es nach Ihnen gegangen, hätte man die mühsam erkämpften europäischen Datenschutzstandards noch weiter aufgeweicht und das Europäische Parlament seiner gerade erst durch das Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon neu gewonnenen Rechte beraubt.

Nur durch das beherzte Eingreifen des Europäischen Parlaments, meine Damen und Herren aus den Reihen der Bundesregierung, wurde neuer Verhandlungsspielraum gewonnen. Alleine dem Europäischen Parlament ist es zu verdanken, dass im Zuge der Neuverhandlungen über ein zweites Abkommen gewisse Verbesserungen hinsichtlich des Daten- und Rechtsschutzes ermöglicht wurden. Nur so wurde unter anderem eine engere Definition des Zwecks der Terrorbekämpfung erreicht und verhindert, dass die Daten zur allgemeinen Ressource für Sicherheitsinteressen aller Art missbraucht werden können. Nur dem Europäischen Parlament ist es zu verdanken, dass die innereuropäischen Zahlungsverkehrsdaten im neuen Abkommen komplett aus dem übermittelten Datenbestand herausgenommen wurden. Und nur dem beherzten Ablehnen des ersten SWIFT-Abkommens durch die Abgeordneten des Europäischen Parlaments ist es geschuldet, dass auch die Verpflichtung, den Zugriff auf die übermittelten Daten ohne Einsatz von Rasterfahndungsmethoden durchzuführen, in das neue Abkommen aufgenommen wurde, wodurch das Risiko, dass unbescholtene Bürgerinnen und Bürger womöglich Opfer pauschaler Verdächtigungen werden, minimiert wurde. Wäre es nach dem Willen der Bundesregierung gegangen, hätten diese Selbstverständlichkeiten bei der Übermittlung von SWIFT-Daten an die USA keinerlei Rolle gespielt.

Meine Fraktion bedauert, dass Konservative, Sozialdemokraten und Liberale im Europäischen Parlament dem Abkommen, obwohl dieses nach wie vor erhebliche datenschutzrechtliche Mängel aufweist und seine Verfassungsmäßigkeit nach wie vor insgesamt infrage gestellt werden muss, nun vorschnell zugestimmt haben.

Viel zu früh gibt das EU-Parlament seinen Anspruch auf, einen substanziell höheren Grundrechteschutz auf internationaler Ebene zu verankern. Stattdessen schwenkt die EU nun auf das niedrige Niveau des US-Rechts ein. Ohne wenigstens eine verbindliche Befristung der Datenübertragung in Hinblick auf das geplante Datenschutzrahmenabkommen festzusetzen, wird die noch in der letzten Parlamentsresolution als EU-rechtswidrig bezeichnete Massendatenweitergabe nun durchgewinkt. Geradezu absurd und wohl auch rechtswidrig ist, dass nun ausgerechnet Europol als Genehmigungsbehörde für die Anfragen der US-Ermittler eingesetzt wird. Schließlich hat die europäische Polizeibehörde ein eigenes Interesse an den Auswertungsergebnissen. Hier scheint es in der Tat so, als werde der Bock zum Gärtner gemacht.

In dem jetzt ausgehandelten Abkommen werden nach wie vor sogenannte Bulk Data, also ganze Datenpakete, übermittelt. Damit sind völlig wahllos alle Personen betroffen, die zum Beispiel an einem bestimmten Tag von einer bestimmten Bank eine Überweisung in einen ausländischen Staat getätigt haben. Spätestens an diesem Punkt wird das Abkommen zu einem Vertrag zulasten unverdächtiger Dritter. Es ist für mich nicht nachvollziehbar, warum eine Vorauswahl der zu übermittelnden Daten nicht auch von europäischem Boden aus hätte erfolgen können, um so eine Gesamtübermittlung der Daten in die USA zu verhindern.

Der zweite Punkt betrifft die nun vereinbarte Speicherdauer von fünf Jahren. Der eherne datenschutzrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit gebietet die Löschung der Datenbestände nach Wegfall des Speicherungsgrundes. Ist nun – wie nach dem Abkommen vorgesehen – aufgrund eines Tatverdachts die Durchsicht eines Datenpakets mit den Daten unverdächtiger Personen erfolgt, so hat sich der Speichergrund erledigt. Selbst bei Einräumung einer großzügigen Frist zur erneuten Prüfung bleibt eine fünfjährige Frist absolut unhaltbar. Diese Speicherung von Daten auf Vorrat genügt sicherlich nicht den jüngst vom Bundesverfassungsgericht hierfür aufgestellten hohen Hürden.

Die grüne Fraktion im Europäischen Parlament, allen voran mein Kollege Jan Philipp Albrecht, aber auch meine Fraktion hier im Bundestag, hätten sich einen couragierteren Kampf für einen höheren Schutz der Daten der Bürgerinnen und Bürger Europas gewünscht. Hinsichtlich zukünftiger Abkommen müssen wir uns zwingend der Frage stellen, welche Eingriffsschwellen grundsätzlich für notwendig erachtet werden, um ein kontinuierliches Ausweiten staatlicher Ermittlungen auf alle Bürgerinnen und Bürger, also den Generalverdacht und Ermittlungen ins Blaue hinein, zu verhindern.

Aus meiner Sicht ist vor dem Hintergrund der Verhältnismäßigkeit jedem Versuch, auf Datenbestände, von denen wir von vornherein wissen, dass diese praktisch vollumfänglich die Finanztransaktionsdaten völlig unbescholtener Bürgerinnen und Bürger enthalten, eine glasklare Absage zu erteilen – auch und vor allem vor dem Hintergrund, dass das derzeitige US-Recht weder im öffentlichen noch im nichtöffentlichen Bereich Datenschutzstandards vorsieht, die annähernd unseren verfassungsrechtlichen Vorgaben entsprechen. Ich denke dabei an den nach wie vor in Kraft befindlichen Patriot Act, der umfängliche Umgehungen des Richtervorbehalts ermöglicht, aber auch an die im Privatbereich völlig fehlenden datenschutzrechtlichen Regelungen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen der Regierungskoalition, vor dem Hintergrund der zahlreichen rechtsstaatlichen, auch verfassungsrechtlichen Bedenken ist die von Ihnen in Ihrem jetzt vorgelegten Antrag gewählte Formulierung, wonach das SWIFT-Abkommen „ein respektables Ergebnis darstelle“, ein rechtspolitischer Offenbarungseid. In der nun gleich folgenden Abstimmung haben Sie noch einmal die Gelegenheit, sich als gewählte Volksvertreter dieses Hohen Hauses Ihrer Verantwortung für den Schutz der Daten von vielen Millionen völlig unbescholtener und unverdächtiger Menschen zu erinnern und zusammen mit uns die Bundesregierung aufzufordern, die daten- und verfassungsrechtliche Notbremse zu ziehen und dem nun ausgehandelten Abkommen im Rat in letzter Sekunde eine Absage zu erteilen.