Protokollrede vom 26.05.2011: „Katastrophenabwehr“

Wir begrüßen den Vorstoß der Europäischen Kommission für Verbesserungen der Zusammenarbeit im Katastrophenschutz. Menschen unmittelbar, schnell und wirksam Soforthilfe bei Katastrophen zu-kommen zu lassen, ist ein vorrangiges Ziel der Soli-dargemeinschaft EU. Die Katastrophe von Fukushima hat uns einmal mehr und auf ganz brutale Weise aus dem täglichen Verdrängen der Möglichkeit einer der-artigen, vorher in diesem Ausmaß für uns alle unvor-stellbaren Katastrophe gerissen. Schmerzhaft vor Au-gen geführt wurde uns, in welchem Ausmaß unser ge-wohnter Alltag durch katastrophische Entwicklungen bedroht ist, die zudem oftmals in vielerlei Hinsicht menschengemacht und damit grundsätzlich vermeid-bar erscheinen. Und so muss nach Fukushima auch für den Katastrophenschutz gelten: Business as usual geht nicht mehr.

Wer von einer veränderten Sachlage bei der Be-wertung der Atompolitik ausgeht, wie dies die Bundesregierung nunmehr von sich behauptet, muss auch beim Katastrophenschutz konsequent sein. Die Risiken von Großschadenslagen – das hat Japan gezeigt – können kumulativ eintreten, und sie sprengen alle unsere bisherigen Übungs- und Einsatzszenarien. An die Politik gewendet gilt hier stets die Frage: Haben wir alles Menschenmögliche getan, um die etwaigen Folgen derartiger Katastrophen bestmöglich abzumildern oder sie gar im Vorfeld zu verhindern? Das Undenkbare denken und Vorsorge treffen, darin besteht die Herausforderung des Bevölkerungsschutzes, auch wenn und gerade weil wir wissen: Katastrophen sind per se das zumeist nicht Planbare, das Unvorherseh-bare. Und: Das Ereignis selbst muss noch nicht auto-matisch zu einer Katastrophe werden.

Tatsächliche Katastrophen, die im Grunde genom-men ja nichts anderes sind als die Überforderung ei-ner Gesellschaft, mit einer bestimmten Bedrohung adäquat umzugehen, entstehen oftmals erst durch das Zusammenspiel vielfältiger Faktoren, von denen die einen mehr beeinflusst, die anderen weniger beein-flusst werden können. Sicher ist: Die Vulnerabilität unserer modernen Gesellschaften auf einem möglichst geringen Niveau zu halten, ist wohl die größte Her-ausforderung für den Katastrophenschutz. So wissen wir alle: Der technologische Fortschritt ist Fluch und Segen zugleich: Einerseits ermöglicht er uns, frühzei-tig potenziell katastrophale Entwicklungen einzu-schätzen und sie zu bekämpfen, andererseits sind die Folgen einer erst einmal eingesetzten Katastrophe durch die Abhängigkeit moderner Gesellschaften von kritischen Infrastrukturen hoch. Wir wissen: Für eine möglichst effektive Begegnung der Auswirkungen ei-nes potenziell katastrophalen Ereignisses ist eine ko-ordinierte Vorgehensweise aller hieran Beteiligten von immenser Bedeutung. Wir wissen auch: Katastro-phen kennen keine Grenzen. Daher begrüßen wir es, dass die EU mit ihrer Mitteilung Vorschläge für not-wendige Einzelschritte einer verbesserten EU-Krisenabwehr vorgelegt hat. Anstrengungen in dieser Richtung reichen bereits einige Jahre zurück, darunter hervorzuheben insbesondere der Barnier-Report.

Der Ansatz der Kommission ist in seinen wesentli-chen Punkten zu begrüßen. Besonders wichtig und hervorzuheben ist, dass die Katastrophenvorsorge seitens der Kommission auch als primäre Prävention von Risikoherden mitgedacht wird und hier weitere konkrete Schritte angekündigt werden. Denn wir müssen vor allem an die Ursachen von Krisen, an die Risikoherde ran. Als gutes Beispiel hierfür mag die neueste TAB-Studie des Deutschen Bundestages dienen, die mit Blick auf das besonders gefährliche Szenario breitflächiger und länger andauernder Stromausfälle eine Abkehr von zentralisierten Stromnetzen und eine Hinwendung zu erneuerbaren Energien empfiehlt, mit denen robustere dezen-trale Stromnetze auch in Katastrophenfällen aufrechterhalten werden können. Gleichwohl gilt der alte Spruch, wonach bei aller Prävention die nächste Katastrophe bestimmt kommen wird, auch hier bei uns in einem vermeintlich besonders sicheren und gut organisierten Gemeinwesen. Sie wird uns auf dem falschen Fuß erwischen, und sie wird natürlich – verzeihen Sie mir diese von vielen schon als Phrase empfundene Wendung – vor allem eines nicht machen, nämlich an nationalen Grenzen innehalten. Diese Erfahrung kennen wir zur Genüge bei den typischen Hochwasserkatastrophen, die unser Land immer wieder treffen. Zum Glück kennen wir sie noch nicht für anders gelagerte Fälle, zum Beispiel Terroranschläge mit katastrophischen Auswirkungen, oder gar Atomkatastrophen. So unwahrscheinlich diese Möglichkeiten immer noch vielen erscheinen mögen, die Aufgabe des Katastrophenschutzes muss diese Szenarien aufnehmen und verarbeiten.

Genau deshalb ist es überhaupt nicht zureichend, wenn die Koalitionsfraktionen beantragen, weiterhin nahezu ausschließlich auf nationale Bewältigungs- und Koordinationskapazitäten der Mitgliedstaaten zu setzen und der Europäischen Union lediglich eine reaktive Rolle zuzuweisen. Damit wird einmal mehr eine Herangehensweise im Bevölkerungsschutz perpetuiert, die noch immer meint, gesetzliche Aufgabenverteilungen und Befugnisse zum Maßstab für die Bewertung der Realität sprich: konkrete Krisenszenarien nehmen zu können.

Als trauriges Ergebnis zu besichtigen ist unter an-derem deshalb ein nationales System des Krisenma-nagements, das sich keinem Laien mehr erschließt und bei einer schweren Katastrophe vermutlich völlig unzureichende Koordinierungsleistungen erbringen würde. Umgekehrt hingegen würde ein Schuh draus, denn erst in der konkreten Auswertung realistischer Krisenszenarien und Übungen erschließt sich induktiv der Bedarf bei den Bewältigungsstrukturen. Die Vorschläge der Kommission sind ein schlüssiger Schritt für die Bewältigung grenzüberschreitender Szenarien hier bei uns in Europa, aber auch für den Einsatz von EU-Mitteln in Drittstaaten.

Einig sind wir uns hier im Bundestag offenbar, was die Notwendigkeit der Planung auch auf EU-Ebene für bestimmte Szenarien, die Inventarisierung von na-tionalen Ressourcen und die beschleunigte Mobilisie-rung der Ressourcen angeht.

Die Sorge der Linken, dass die Pläne der Kommis-sion eine Militarisierung des Bevölkerungsschutzes einläuten könnten, teilen wir nicht. Auch wir würden derartige Entwicklungen selbstverständlich ablehnen. Die Mitteilung bekennt sich jedoch eindeutig zu den Oslo-Leit-linien und damit zu dem Grundsatz, dass nur im absoluten Ausnahmefall eine entsprechende Heranziehung militärischer Kräfte infrage kommt.

Die Zusammenlegung der Krisenstellen des MIC, Monitoring and Information Centre, und der GD ECHO, Generaldirektion Humanitäre Hilfe der Euro-päischen Kommission, ist konsequent, weil es zahlrei-che Überschneidungen zwischen den Katastrophen-schutzanforderungen und der humanitären Hilfe – Schutz und Versorgung, die über Erstversorgung hin-ausgeht – gibt und es aus unserer Sicht durchaus Sinn macht, die notwendige Vorbereitungs- und Planungsarbeit von den rein reaktiven, auf die Ad-hoc-Zurufe der Mitgliedstaaten angewiesenen Maßnahmen zu lösen, um so die rasche und effiziente Handlungsfähigkeit in Notfällen aufzubauen und zu gewährleisten. Die Behauptung der Koalitionsfraktion, damit würde das bundesdeutsche bewährte System der Präsenz von Millionen von Helferinnen und Helfern in der Fläche infrage gestellt, teilen wir explizit nicht, zumal sie auch nicht näher begründet wird. Vielmehr wird unser bewährtes System insbesondere der ehrenamtlichen Mitarbeit in einer Vielzahl von Hilfsorganisationen weiterhin neben und kumulativ zu den Koordinie-rungsaufgaben auf nationaler wie auch europäischer Ebene zur Anwendung kommen.

Den Einwand der fehlenden Rechtsgrundlage für eine derartige Verbindung bereits bestehender und zulässiger Kompetenzen sehen wir nicht, wenn bei der rechtlichen Ausgestaltung entsprechend präzise fest-gelegt wird, worin die konkreten Aufgaben und Befugnisse liegen können und sollten. Fragen des Bevölkerungsschutzes sind mit einer besonders hohen Verantwortung verbunden und geben Anlass, von kurzfristigen politischen Überlegungen abzusehen sowie auch bei bestimmten abstrakteren Leitlinien des eigenen politischen Handelns Vorsicht walten zu lassen. Mögen die oft vorgetragenen Bedenken hinsichtlich eines sich verselbstständigenden Ausbaus des europäischen Agenturwesens in Einzelfällen durchaus ihre Berechtigung haben, so dürfen diese doch nicht zu einer pauschalen Ablehnung notwendiger und in der Sache gerechtfertigter Erweiterungen europäischer Handlungsmöglichkeiten führen. Die Vorbereitung auf und die Unterstützung bei Katastrophen, die an unseren Landes- wie auch Staatsgrenzen nicht haltmachen und deren Bewältigung außerordentliche Anstrengungen erfordern, zählt zu diesen notwendigen Erweiterungen.