im Mai und Juni 2011 leistete Sina bei uns ein fünfwöchiges Praktikum in Berlin. Sina ist 20 Jahre alt und steht nach ihrem Abitur vor der Entscheidung, welchen Studiengang sie wählen soll. Im Praktikum wollte sie ihre Vorstellungen für ein mögliches Jurastudium an der Schnittstelle zwischen Politik und Recht Realitätscheck unterziehen.

Hier ihr Praktikumsbericht

Bewerbungsgründe und Persönliches
Um einen realitätsnahen Einblick zu erhalten, ist es allerdings hilfreich, nicht nur auf die gläserne Kuppel und somit dem „Parlament aufs Dach zu steigen“ sondern vielmehr einen Blick hinter die Kulissen den eigentlichen Ort des politischen Geschehens zu werfen.
Interessante Fragen wie: Was sich eigentlich hinter dem großen Komplex „Bundestag“ verbirgt oder wie politische Prozesse z.B. Gesetzesvorschläge entstehen -bevor sie im Plenum landen- lassen sich durch einen kurzen Tagesbesuch oftmals nur unbefriedigend bis kaum beantworten.
Diese Fragen und meine politische Neigung haben mich unter anderem bewegt, eine Bewerbung für ein Praktikum bei einem Mitglied der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen zu verfassen.
Doch alles der Reihe nach. Mit meinen 20 Jahren habe ich bisher nur mein Abi in der Tasche und stehe damit im Gegensatz zu der Mehrheit der Praktikanten, welche zumeist Jura- oder Politikstudenten sind, noch vor der Entscheidung, welcher Studiengang es für mich letzten Endes werden soll. Dieses Praktikum bot mir somit auch die Möglichkeit, meine Vorstellungen, nach einem möglichen Jurastudium an der Schnittstelle zwischen Politik und Recht tätig zu werden, einem Realitätscheck zu unterziehen. Aber genug von mir!

Grundstruktur
„Die Eine“ allgemeingültige Praktikumsbeschreibung bei einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages (MdB) gibt es wohl höchstens, was den Ablauf und den zeitlichen Rahmen betrifft. Inhaltlich entstehen durch die Unterschiede zwischen den einzelnen Fraktionen und/oder die verschiedenen politischen Fachgebiete der jeweiligen MdBs die Erfahrungen und Abläufe natürlich große Abweichungen.
Ich werde euch nun auf eine Reise durch die Praktikumswelt bei dem Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz , Mitglied des Innenausschusses sowie Obmann der Enquete Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“, stellvertretendes Mitglied des Rechts- sowie des Kulturausschusses und Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/ die Grünen mitnehmen.

Um erst einmal einen groben Überblick zu bekommen, ist es interessant, auf die Struktur des Bundestags“alltages“ einzugehen.
Hinsichtlich der Inhalte kann man zwar kaum von einem herkömmlichen Alltag sprechen, da sich das politische Geschehen ja permanent an aktuellen Ereignissen orientiert, durch diese verändert wird und es insgesamt eine immense Bandbreite an verschiedenen Themen gibt.
Vom internen Ablauf herrscht allerdings für alle Abgeordneten, die wissenschaftlichen Mitarbeiter, die Büroorganisationskräfte sowie die vielen anderweitig beschäftigen Mitarbeiter der gleiche Rahmen, welcher sich in Sitzungs- und sitzungsfreie Wochen gliedert.

22 Sitzungswochen gibt es in Berlin pro Jahr, in denen sich die Abgeordneten auch im Haus befinden, sodass wirklich im wahrsten Sinne des Worte der „Bär los ist“. In den übrigen Wochen sind die Abgeordneten in ihren jeweiligen Wahlkreisen, bundesweit auf Veranstaltung unterwegs oder auch mal auf mandatsbezogenen Auslandsreisen.
Es ist jedoch ein banaler Trugschluss, dass der Bundestagsbetrieb in dieser Zeit brach liegt und keine politischen Arbeitsprozesse mehr stattfinden.
Zwar sind die Abgeordneten zumeist nicht im Hause und es geht zugegebenermaßen ruhiger zu als in den hektischen Sitzungswochen.
Nichtsdestotrotz arbeiten die anderen Beschäftigten weiter an der Vor- und Nachbereitung der Sitzungswochen. Es werden beispielsweise 100-seitenlange Gesetzesentwürfe der Bundesregierung durchgearbeitet, eigene Gesetzesvorschläge oder Anträge entworfen, Pressemitteilungen oder Artikel in Fachzeitschriften verfasst, langfristige Projekte bearbeitet und noch vieles mehr.
Hinter dem „Konstrukt Bundestag“ verbergen sich neben den aktuell 620 Parlamentariern, selbstredend noch ein erheblich größerer Teil an wissenschaftlichen Mitarbeitern und Referenten der Abgeordneten und der einzelnen Fraktionen, Servicemitarbeiter, Empfangs- und Sicherheitspersonal, Reinigungskräfte und viele mehr, ohne die dieser Laden mitnichten so gut laufen würde!

Ablauf einer Sitzungswoche
Spannend für uns Praktikanten sind zugegebenermaßen vor allem die Sitzungswochen, welche für die Abgeordneten und deren Mitarbeiter allerdings oft mit hohem Zeitdruck, diversen Fristen und vielen Terminen verbunden sind.
Die Sitzungswochen beginnen montags mit dem Zusammentreffen der verschiedenen Gremien und auch den so genannten Enquete-Kommissionen. Eine Enquete- Kommission wird dann eingesetzt, wenn das Parlament der Meinung ist, dass ein Thema detaillierter und fernab des oftmals doch sehr hektischen parlamentarischen Betriebs der herkömmlichen Ausschüsse diskutiert und erörtert werden soll.
In der Regel handelt es sich hierbei um neue – durch gesellschaftliche und/oder technische Weiterentwicklung – entstandene Themen, die für die gesellschaftliche Realität an Bedeutung gewonnen haben.

Konstantin jedenfalls ist Mitglied der in dieser Legislatur eingesetzten Enquete Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“. Als Obmann der Grünen vertritt er die grünen Mitglieder der Enquete auch gegenüber den anderen Fraktionen. Im Dialog zwischen Politikern, Vertretern der Wirtschaft und themenspezifischen Experten wird in der Enquete fraktionsübergreifend diskutiert mit dem Ziel, am Ende des anberaumten Zeitpunkts konsensuale Handlungsempfehlungen für die Bundesregierung abzuliefern.
Dienstagmorgens treffen sich dann intern die einzelnen Arbeitskreise.
Jede Fraktion ist nämlich noch einmal thematisch in einzelne Arbeitskreise gegliedert.
In der Grünen Bundestagsfraktion gibt es insgesamt 5 Arbeitskreise, die sogenannten AKs.
Da Konstantins thematische Zuständigkeiten die Innenpolitik und die Netzpolitik mit in den großen Bereich des AK 3’s fallen, welcher sich vor allem mit rechtlichen und inneren Fragen auseinandersetzt, konnte ich dort (auch über Konstantins Themenbereich hinaus) spannenden internen Berichten über die Koalitionsverhandlungen in Baden-Württemberg bis hin zu Debatten über die Anti-Terror-Gesetze sowie die Haltung der Grünen gegenüber dem Atom-Ausstiegskonzept der Bundesregierung lauschen.

Jeden Dienstagnachmittag steht dann die Fraktionssitzung –kurz Frasi- auf dem Programm.

Ihr merkt schon: An diversen Abkürzungen und Kürzeln kommt man im Bundestagsalltag insgesamt kaum vorbei, es ist ja allgemein bekannt, dass die Politik mit Leidenschaft zu Abkürzungen neigt.
Jedenfalls werden in der Fraktionssitzung der Grünen, die wichtigsten Themen der Fraktion ausführlich besprochen und über die weiteren Vorgehensweisen oder Termine informiert.
Hier wird auch deutlich, dass selbst Mitglieder derselben Partei in vielen Bereichen unterschiedliche politische Auffassungen haben.

Die Grüne Fraktion ist (zumindest noch bis 2013) die kleinste der 5 Bundestagsfraktionen und hat es mit „nur“ 68 Abgeordneten vergleichsweise zur großen 238 Personen starken Bundestagsfraktion der CDU im Prinzip „leichter“, eine gemeinsame politische Linie zu finden. Nichtsdestotrotz erweist sich auch mit 68 Individuen ein gemeinschaftlicher Konsens zu allen Themen oftmals als praktisch schwer zu erreichen.
Im Endeffekt ist dies auch durchaus positiv zu betrachten, da es zeigt, dass die Mehrheit der Abgeordneten an ihren eigenen Auffassungen festhalten, auch wenn die Parteispitze oder die Fraktionsmehrheit in eine andere Richtung drängt.
Allerdings bekommt man selbst ja allzu häufig mit, dass z.B. eine Plenumsabstimmung, bei der es parteiinterne Abweichler gibt, gerade in den Medien oftmals sofort als Parteikrise ausgelegt wird. Dementsprechend muss jede/r Abgeordnete für sich selbst abwägen, bei welchen Themen er oder sie dem Parteikonsens zuliebe, auch persönlich Abstriche machen kann und bei welchen Kernthemen man sich im Härtefall auch als „einer gegen 67“ seiner eigenen Auffassung aus treu bleiben will. Ein so kontroverses Thema ist beispielsweise die Abstimmung über das Mandat zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr.

Am Mittwoch geht es dann weiter mit den verschiedenen Ausschusssitzungen, wo ich das Glück hatte, Konstantin in den Innenausschuss begleiten zu können.
In den fraktionsübergreifenden Ausschüssen geht es dann gerade inhaltlich auch wirklich zur Sache und kaum einer lässt sich verbal „die Butter vom Brot nehmen“, was auch daran liegen mag, dass diese Sitzungen i.d.R. nicht öffentlich sind. Es war jedenfalls immer höchst interessant und dass unabhängig davon, ob es um die Anhörung von Sachverständigen zur Telekommunikationsnovelle oder um die Verlängerung der Anti-Terror-Gesetze ging.
Persönlich hat mir hier besonders gefallen, dass die einzelnen Abgeordneten zwar kein Blatt vor den Mund nehmen und der politischen Gegenseite lautstark Kontra geben, aber neben den inhaltlichen Kontroversen durchaus Sympathien für Mitglieder der anderen Parteien auf menschlicher Ebene hegen.

Gegen späteren Mittag beginnt dann im Plenum die Regierungsbefragung.
Platt formuliert erhält die Opposition durch sie die Möglichkeit, die Regierung zu triezen und ein Regierungsmitglied – durch cleveres Nachfragen – auch mal fachlich bloßzustellen.
Für mich persönlich war vor allem die Befragung des Bundesgesundheitsminister Bahr und der Verbraucherministerin Aigner zur EHEC-Krise sehr interessant.

Im Anschluss an die Regierungsbefragung findet die so genannte „Aktuelle Stunde“ statt, bei der, der Name deutet es schon an, über ein jeweils aktuelles Thema diskutiert wird.

Donnerstag und Freitag finden dann die konventionellen Plenumsdebatten statt, so wie man sie auch aus dem Fernsehen kennt und unter dem Stichwort Parlamentsfernsehen auch jederzeit auf der Homepage des Deutschen Bundestages unter www.bundestag.de verfolgen kann.

Für die Mehrheit der Plenumszuschauer stellt sich dann oft die Frage, warum bei den meisten Debatten nur ein Bruchteil der Abgeordneten anwesend ist.
Den Mythos vom faulen Parlamentarier, welcher oft im Zusammenhang mit der marginalen Anwesenheitszahl im Plenum des Deutschen Bundestages erwähnt wird, kann ich allerdings mit gutem Gewissen zurückweisen: Ein Tag innerhalb der Sitzungswochen kann nämlich gut und gerne ein 14 Stundenarbeitstag sein!
Es betrübt mich, dass den Plenumsbesuchern ein anderer Eindruck bezüglich der Arbeitsmoral der Abgeordneten vermittelt wird. So nimmt die deutsche Politikverdrossenheit gewiss nicht ab! Doch der Arbeitsumfang ist einfach so enorm und die Masse an Terminen und Texten, die zu lesen und zu bearbeiten sind, so hoch dass es einem Parlamentarier –wenn er seine Aufhabe der Volksvertretung ernst nimmt- oftmals nicht möglich ist, den Debatten über die Themen zu lauschen, die außerhalb des eigenen Fachgebietes liegen.
Das ist definitiv schade, aber es ist Realität!

Außerparlamentarisches- von Berlin bis nach Eckernförde
Darüber hinaus sind gerade auch außerparlamentarische Veranstaltungen und Termine sehr spannend. Beispielsweise hatte ich das Glück, eine Soiree der Grünen Bundestagsfraktion zum Thema „Vebrauchermacht im Netz“ schon in der Vorbereitungsphase mitzuplanen und daran teilzunehmen.

Diese gelungene Veranstaltung mit einer spannenden Podiumsdiskussion zum Thema Daten- und Verbraucherschutz im Internet, an der sowohl Vertreter von facebook und Google als auch die Fraktionsvorsitzende Renate Künast sowie die MdBs Konstantin und Nicole Maisch teilgenommen haben, war gewiss eines der Praktikumshighlights.

Darüber hinaus bot sich mir aber auch die Möglichkeit, Konstantin und seinen sympathischen Mitarbeiter Jörn in mein Heimatland Schleswig-Holstein zum Landesparteitag der Grünen in Eckernförde (bei Kiel) zu begleiten. Dieses Erlebnis war insofern spannend, um einmal die landespolitische Seite und die Arbeit an der Basis der Partei besser kennenzulernen.

Zwar fehlt einem solchen Landesparteitag vielleicht der „Glamoureffekt“, den die Berliner Bundespolitik in gewisser Weise oft ausstrahlt, nichtsdestotrotz wird dort (wenn auch mit mehr Regionalbezug) über ähnliche Themen mindestens genauso emotional diskutiert wird wie auf Bundesebene. Die Landes- und Wahlkreispolitik stellt sich insofern auch als wichtig dar, damit die Abgeordneten die Bindung und die Nähe zu „ihrem“ eigenen Landesverband halten und sich Landes- und Bundespolitik rückkoppeln können.

Fazit
Inhaltlich habe ich während meiner 5 Wochen Praktikum unglaublich viel gelernt, gelesen und Demokratie in wahrsten Sinne des Wortes erlebt.
Alles Aufzulisten sprengt wahrscheinlich den Rahmen dieses „kleinen“ Berichtes.

Kurz und gut: Entgegen meiner Befürchtungen hat mich der Einblick in die deutsche Bundespolitik weder betrübt noch die Existenz platter Vorurteile über die Masse an Machtpolitikern bestätigt.

Auch wenn Klischees meist einen Funken Wahrheit in sich haben und sich gerade im Plenum des Bundestages oder in den fraktionsübergreifenden Ausschüssen der ein oder andere gern mal rhetorisch profiliert oder die eigene Selbstdarstellung genießt, ist meine Achtung vor der Arbeit der einzelnen Abgeordneten insgesamt deutlich gestiegen.
Ehrlich gesagt ziehe ich meinen Hut vor allem auch vor den wissenschaftlichen Mitarbeitern, mit welchem Eifer und Enthusiasmus der immense „workload“ gerade in den Sitzungswochen bewältigt wird.

Natürlich sind politische Prozesse in einer Demokratie zäh. Gerade die Oppositionsarbeit, deren Hauptinstrumente zur Regierungskontrolle z.B. das Verfassen von eigenen Gesetzesentwürfe, Anträgen sowie Großen und Kleinen Anfragen sind, kann durchaus mal frustrierend sein.
Die permanente Ablehnung der eigenen Anträge oder Gesetzesentwürfe durch die Mehrheit der Regierungskoalition im Parlament sollte deswegen vielmehr als Vorbereitungsarbeit für eine zukünftige Regierungsoption wahrgenommen werden.

Trotzdem ist die gelebte Demokratie ein unglaublich spannender Prozess, der beeindruckenderweise durch die Interaktion zwischen Regierungskoalition und Opposition zwar langsam aber doch recht erfolgreich funktioniert.

Politikinteressierten kann ich nur raten: bewerben und einen eigenen Eindruck gewinnen.
Es lohnt sich definitiv!

Abschließend noch eine kleine Anmerkung.
Auch wenn ich das Praktikum ganz gewiss nicht missen möchte, verstehe ich nun allerdings, warum in erster Linie Studenten für dieses Praktikum gesucht werden.
Ohne ein zumindest angefangenes Jura- oder Politikstudium ist es schwer, inhaltlich wirklich mitzuarbeiten bzw. die Kollegen beim Erledigen der Masse an inhaltlicher Arbeit zu entlasten. Es gab viele Momente in denen ich mir wünschte, mein Studium schon abgeschlossen oder wenigstens begonnen zu haben, um Jörn und Nils (Konstantins wissenschaftliche Mitarbeiter) beim Abtragen der Arbeitsberge auf den Schreibtischen besser zu unterstützen.

Wobei wir beim Thema wären: Ein großes Dankeschön an Konstantin, Jörn, Nils, Bettina Sebastian, Sandra, Iris, Christine und einige mehr, die mit viel Geduld trotz der oftmals knappen Zeit -all meinen Fragen- Rede und Antwort gestanden haben.
(Selbst wenn es zum 2. Mal um die Frage nach den Kopiereinstellungen oder zum 5. Mal um das Thema Jurastudium Ja oder Nein ging, habt ihr mich ernst genommen alles beantwortet: Danke dafür!)
Es war schön, ein Teil eures Teams zu sein!
Ich befürchte, ihr, der tägliche Pressespiegel, die vielen Debatten und Sitzungen sowie der ganze „Kosmos Bundestag“ werdet mir fehlen!

Danke für die spannenden Wochen und hoffentlich bis bald!

Lieben Gruß,
Sina