Protokollrede vom 30.06.2011: „Übermittlung von Fluggastdaten“

Es ist der Bedeutung der geplanten Speicherungen von Fluggastdaten angemessen, dass wir hier zum zweiten Mal innerhalb eines Vierteljahres darüber debattieren. Denn was hier in der Pipeline ist, meine Damen und Herren, stellt die Vorgaben des deutschen Grundgesetzes und auch der EU-Grundrechte auf den Kopf!

Das Drama hat zwei Teile, die später aneinander gefügt werden sollen. Der erste Teil ist die geplante Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten. Dazu gibt es von uns den Antrag vom April und den heutigen der SPD. Der zweite Teil sind die geplanten Abkommen der EU mit den USA und Australien über die Weiterleitung von Fluggastdaten. Dazu liegt unser heutiger Antrag vor.

Zum ersten Teil, der geplanten Richtlinie über die Vorratsspeicherung von Fluggasdaten:

Ich habe das an dieser Stelle bereits im April dieses Jahres gesagt: so geht es nicht! Mittlerweile sind ein Gutachten der EU-Grundrechteagentur und eines des juristischen Dienstes des Rates zum gleichen Ergebnis gekommen: Es sind keine behebbaren Kleinigkeiten, die im Richtlinienentwurf falsch liegen, es ist das Gesamtkonzept des Vorhabens, das völlig konträr zu deutschen und europäischen Grundrechten liegt.

Ohne den Nachweis der Erforderlichkeit für die Bekämpfung schwerer Verbrechen sollen nun Fluggastdaten sämtlicher internationaler und EU-interner Flüge auf Vorrat für über 5 Jahre gespeichert werden. Und zwar bei einem staatlichen Datenpool, aus denen sich dann unzählige Polizei- und Strafverfolgungsbehörden aus ganz Europa bedienen dürfen. Profilbildung und Rasterung sind ausdrücklich Zweck dieser Vorratsspeicherung. Jedes einzelne der genannten Elemente der geplanten Datenspeicherung würde beim Bundesverfassungsgericht mit Pauken und Trompeten durchfallen.

Ich freue ich mich daher, dass auch die Kolleginnn und Kollegen von der SPD mit ihrem Antrag verdeutlicht haben, dass wir hier mehr Grundrecht und mehr Datenschutz brauchen. Aber, meine Damen und Herren der SPD, es reicht hier leider nicht aus, nur einzelne datenschutzrechtliche Verbesserungen einzufordern. Denn es fehlt gewissermaßen schon der Grundstein jeglicher verfassungsrechtlicher Zulässigkeit: es fehlt an der Erforderlichkeit der geplanten Vorratsspeicherung von Fluggastdaten.

Das muss nun doch endlich zu allen durchgedrungen sein: nicht nur die europäischen Datenschutzbeauftragten und die EU-Grundrechteagentur, selbst der juristische Dienst des Rates der EU (also genau des Organes der EU, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten sind) kommt in seiner Stellungnahme zum Richtlinienentwurf im April zu diesem Ergebnis – ich zitiere:

„In Anbetracht der einschlägigen Rechtsprechung ist die systematische und automatische Vorabverarbeitung, [… sprich: Profilbildung und Rasterung] des Vorschlags […] äußerst problematisch, was die Verhältnismäßigkeit betrifft. Damit liefe die Richtlinie (wenn sie in dieser Form angenommen würde, und noch mehr, wenn Flüge zwischen Mitgliedstaaten einbezogen würden) nach Ansicht des Juristischen Dienstes eindeutig Gefahr, in einem Verfahren nicht nur vor dem Gerichtshof, sondern auch vor den nationalen Verfassungsgerichten oder obersten Gerichtshöfen beanstandet zu werden, insbesondere deswegen, weil nicht hinreichend dargelegt wird, weshalb die Maßnahmen notwendig sind.“

Ganz Europa argumentiert – politisch und rechtlich – mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Und genau dieses Bundesverfassungsgericht hat uns unmissverständlich aufgegeben, uns auf europäischer Ebene für die Wahrung der verfassungsrechtlichen Datenschutzstandards einzusetzen.

Wie sich aus den Verhandlungsergebnissen der relevanten Ratsarbeitsgruppe vom 11. Mai 2011 ergibt, zweifelt eine ganze Reihe nationaler Parlamente an der Erforderlichkeit der Vorratsspeicherung von Fluggastdaten.

Wir Grüne lehnen die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten auch weiterhin entschieden ab. Denn eine solche Datensammlung ins Blaue hinein löst sich zu weit von den verfassungsrechtlichen Vorgaben und würde einen Paradigmenwechsel im Sicherheitsrecht zu Lasten der Bürgerrechte einläuten.

Nun zum zweiten Teil, den geplanten Abkommen mit den USA und Australien über die Weitergabe von Passagierdaten zu Zwecken der Strafverfolgung:

Die Verhandlungen mit Australien und den USA sind seit kurzem vorläufig abgeschlossen. Die Abkommen sollen den Behörden erlauben, die Daten auf Vorrat zu speichern. Sie setzen also auf die EU-interne Vorratsspeicherung noch eine weitere Vorratsspeicherung in den USA und Australien drauf. Beide Staaten verfügen anerkanntermaßen nicht annähernd über Datenschutzstandards, die den deutschen oder europäischen vergleichbar wären. Es wurden uferlose Speicherfristen von 5,5 Jahren für Australien und 15 Jahren für die USA ausgehandelt. Auch die in die USA und nach Australien weitergeleiteten Fluggastdaten dürfen dann für Risikoanalysen verwendet werden. Dabei sollen die Passagiere aufgrund nicht nachvollziehbarer Risiko-Profile der Sicherheitsbehörden elektronisch in Schubladen sortiert werden.

Ebenso wie bei der Vorratsspeicherung von Fluggastdaten in der EU widerspricht ein solches Vorgehen klar den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere seiner Rechtsprechung zur Rasterfahndung und zur Vorratsspeicherung von Telekommunikationsverbindungsdaten.

Aber nicht nur das. Der juristische Dienst der Europäischen Kommission (ja genau, das ist das Organ der EU, das selbst für die Aushandlung dieser Abkommen zuständig ist) hat in einem Gutachten vom 18. Mai 2011 die Auffassung vertreten, dass die geplanten Abkommen mit den Grundrechten unvereinbar sind. Angesprochen wird hier insbesondere Art. 8 der EU-Grundrechtecharta: das EU-Grundrecht auf Datenschutz, über dessen Einhaltung der EuGH wacht.

Dass wir als Parlament die verfassungsrechtliche Pflicht haben, uns auf europäischer Ebene für die Wahrung unserer verfassungsrechtlichen Datenschutzstandards einzusetzen, habe ich bereits gesagt. Das ist eine parlamentarische Selbstverständlichkeit! Wir haben aber auch die Möglichkeit und die Instrumente dazu. Mit unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung noch einmal dazu auf, beim EuGH ein Gutachten über die geplanten Flugastdaten-Abkommen mit dem USA und Australien einzuholen.

Der EuGH hätte dann gemäß Art. 218 Absatz 11 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Möglichkeit, die Vereinbarkeit dieser geplanten Abkommen vorab mit dem EU-Primärrecht und so auch mit den EU-Grundrechten zu überprüfen. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als Teil der deutschen Verfassungstradition ist Rechtserkenntnisquelle für den EuGH. Deutsche Verfassungsrechtsprechung hat auf diesem Weg bereits vielfach Eingang in die EuGH-Rechtsprechung gefunden. Deutschland sollte durch die Einholung des Gutachtens beim EuGH seine europarechtlichen Möglichkeiten und Pflichten zur Förderung des europäischen Grundrechtsschutzes wahrnehmen.

Wir dürfen hier nicht sehenden Auges eine Situation entstehen lassen, in dem die EU grundrechtswidrige Abkommen abschließt.

Meine Damen und Herren, ich bitte um Zustimmung zu diesem Antrag.