zum Entschließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drs. 17/7500) zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin zum Europäischen Rat und zum Eurogipfel am 26. Oktober 2011 in Brüssel

Nur drei Wochen nach der letzten Reform der EFSF steht heute erneut eine Ausweitung des Instrumentariums der Europäischen Finanzmarktstabilisierungsfazilität EFSF an. In sehr kurzfristig anberaumter Sitzung muss der Bundestag auf der Grundlage sehr kurzfristig verfügbarer Unterlagen darüber entscheiden, ob die EFSF in völlig anderer Weise als bisher tätig werden soll. Damit wird nach den Krisenentscheidungen zur Bankenrettung im Herbst 2008, zu den Griechenland-Hilfen und der Einrichtung des EFSF im Mai 2010 nun wieder unter hohem zeitlichen Druck über Milliardenrisiken entschieden.

Dieser Druck ist nicht einer unvorhersehbaren Dynamik der Krise geschuldet. Dieser Druck ist politisch absichtlich herbeigeführt worden. Seit mindestens einem Monat wird unter den Regierungen der Eurozone über die effizientere Nutzung oder Hebelung der EFSF diskutiert. Doch im Parlament unterdrückte die Koalition jedwede inhaltliche Auseinandersetzung mit diesen Vorschlägen mit dem Erfolg, dass nun zwischen einer ersten Information der Bundesregierung und der Entscheidung im Plenum nur etwa 24 Stunden liegen. So etwas darf sich ein Parlament nicht gefallen lassen.

Es ist richtig, dass nun das Plenum des Bundestages diese Entscheidung trifft. Die Regierungsfraktionen greifen damit die Forderung aus dem Antrag der Grünen Bundestagsfraktion auf, den sie vor vier Tagen noch abgelehnt haben. Die Ausweitung der Handlungsmöglichkeiten der EFSF, indem zusätzliche Investoren hinzugenommen werden, verändert grundlegend den Umgang mit den vom Bundestag gewährten Garantien. Sie vergrößert die Schadenshöhe für den Bundeshaushalt entscheidend, die im Falle einer Umschuldung oder einer Pleite eines Krisenstaates zu tragen wäre (Verlustquote bei Ausfall). Mitglieder der Bundesregierung haben sich zwar aus Angst vorWiderstand in den eigenen Reihen intensiv bemüht, dieses Faktum mit Hinweis auf die unveränderte Höhe des deutschen Garantierahmens von 211 Milliarden Euro zu verschleiern. Parlament und Öffentlichkeit wurden hier gezielt desinformiert, ja: getäuscht. Deswegen wurde regelmäßig von „Effizienzsteigerung“ gesprochen, um lediglich die positiven Aspekte des veränderten Ansatzes erkennbar werden zu lassen. Aber es gibt eine solche Effizienzsteigerung ohne eine Veränderung des Risikos nicht. Zudem haben führende Koalitionspolitiker eine Hebelung noch vor kurzem wortgewaltig abgelehnt. Sie müssen nun öffentlich erklären, warum sie ihre Meinung geändert haben, statt hinter verschlossenen Türen das zu beschließen, was sie öffentlich ausgeschlossen haben. Die Diskussion zur Hebelung ist damit ein Beispiel mehr für die vielen „roten Linien“, die ständig definiert und anschließend unter großem Vertrauensverlust in der Bevölkerung überschritten werden.

Die Ausweitung der EFSF-Kapazität ist dennoch grundsätzlich richtig. Die EFSF hat derzeit eine Kreditvergabekapazität von 440 Milliarden Euro. Davon gehen 46,5 Mrd. an Portugal und Irland. Mindestens 109 Milliarden Euro sind für Griechenland erforderlich. Zusätzlich werden Mittel für die Bankenrekapitalisierung gebraucht. Diese soll nach den derzeitigen Planungen 100 Milliarden Euro erfordern, von denen ein relevanter Teil, vielleicht 30 Milliarden Euro über den EFSF bereitgestellt werden müssen, weil weder die Banken selbst noch deren Sitzländer die Rekapitalisierung aus
eigenen Mitteln aufbringen können. Damit ist klar: Die Kapazität der EFSF reicht bei der bisherigen Herangehensweise nicht, um neuen Herausforderungen zu begegnen.

Zum einen ist es nötig, eine wirkliche Schuldenentlastung für Griechenland zu Lasten der Gläubiger umzusetzen, damit die Schuldenlast Griechenlands wieder tragfähig ist und das Land eine Entwicklungsperspektive bekommt.Wir haben dazu immer eine Orientierung an den Marktwerten gefordert, also derzeit etwa 60% Abschlag.Wenn man das umsetzen will, ist es nötig, mögliche Auswirkungen auf den Bankensektor in Griechenland selbst und in anderen Ländern und gegebenenfalls auf die Märkte für Staatsanleihen weiterer Euro-Länder abfedern zu können. Eine Vorbedingung für eine wirkliche Umschuldung ist deshalb eine EFSF-Kapazität, die über dem heutigen Volumen liegt.

Zum anderen sind seit August diesen Jahres Spanien und insbesondere Italien im Fokus der Finanzmarktakteure. Die Zinsen in beiden Ländern sind gestiegen und konnten nur durch Käufe der Europäischen Zentralbank auf einem vertretbaren Niveau gehalten werden. Dabei sind insbesondere bei Spanien mit einem Schuldenstand, der unterhalb dem der Bundesrepublik Deutschland liegt, kaum Zweifel an der Solvenz vorhanden. Die Krisendynamik setzt beide Länder dennoch der Gefahr einer Spirale aus steigenden Zinsen und sinkender Schuldentragfähigkeit aus, die ohne externe Hilfe in die Insolvenz führen könnte. Italien muss im Jahr ca. 380 Milliarden Euro refinanzieren. Allein diese Zahl macht deutlich, dass eine Ausweitung der EFSF-Kapazität nötig ist.

Deshalb stimmen wir zu, dass die Bundesregierung Verhandlungen über eine Ausweitung der Kapazität der EFSF mittels so genannter Hebelung führt und bringen das mit einer Zustimmung zum vorliegenden Entschließungsantrag zum Ausdruck.

Richtig ist zwar, dass ohne die vielen Fehler und Verzögerungen, die gerade die Bundesregierung beim Krisenmanagement zu verantworten hat, wir vielleicht nie in die heutige Zwangslage gekommen wären. Richtig ist auch, dass alternative Wege der Stabilisierung der europäischen Finanzmärkte zur Verfügung gestanden hätten oder heute zur Verfügung stünden, wenn man rechtzeitig den Mut zu Vertragsänderungen gehabt hätte.Wir halten nach wie vor eine stärkere haushaltspolitische Koordinierung und die Einführung europäischer Anleihen (Eurobonds) für besser als den von den europäischen Regierungen derzeit beschrittenenWeg. Doch für die nächsten Wochen stehen diese Alternativen leider noch nicht zur Verfügung, weil insbesondere die erforderliche haushaltspolitische Kontrolle in den Mitgliedstaaten noch nicht vertraglich vereinbart wurde. Deswegen muss zunächst der bisherige Weg mit einer Ausweitung der EFSF-Kapazität weitergegangen werden. Und wenn der Bundestag der von den Marktakteuren erwarteten Ausweitung der EFSF-Kapazität seine Zustimmung verweigert, droht eine neuerliche massive Zuspitzung an den Finanzmärkten, die alles nur noch schwieriger und teurer machen könnte. Einmal mehr befindet sich die Politik in einer Zwangslage.

Tatsache ist aber auch, dass die Bundesregierung bislang auf knapp vier Seiten nur eine grobe Skizze möglicher Wege vorgelegt hat. Sie definieren einen Raum von Möglichkeiten, keine klare Perspektive der nächsten Schritte. Es ist zu befürchten, dass die darin vorgesehenen Varianten der Hebelung teurer und unstabiler sind als alternative Varianten, die von der Bundesregierung ausgeschlossen, aber im Bundestag nie kritisch verglichen wurden. Auch hat die Koalition eine von den Oppositionsparteien im Haushaltsausschuss geforderte Anhörung zur Klärung der Vor- und Nachteile der verschiedenen Varianten abgelehnt. Teuer könnte die geplante Fonds-Lösung werden, weil den Kapitalmarktakteuren, die Risiken übernehmen sollen, dieses honoriert werden muss. Unklar ist auch, ob die diversen neu zu emittierenden strukturierten Finanzmarktprodukte zu einerStabilisierung wirklich beitragen oder selbst Quelle von Unsicherheit werden können. Das gilt bei der Versicherungslösung insbesondere dann, wenn sich die Markteinschätzung über das Risiko so entwickelt, dass das abgedeckte Risiko nicht mehr ausreicht. Schließlich ist unklar, ob sich für die verschiedenen Varianten wirklich Investoren finden lassen und ob nicht die Absicherung so großzügig ausgestaltet werden muss, dass die Hebelung relativ gering ausfällt und nur für wenige Monate Atempause verschafft. Klar ist jedenfalls, dass die Hebelung der EFSF nur Übergangslösung in eine anders gestaltete stabilere Lösung sein kann und darf. Auch werden wir kritisch bewerten müssen, welche konkreten Maßnahmen nun auf der Grundlage der heutigen Zustimmung beschlossen werden.

Als überzeugte Europäerinnen und Europäer sind wir mit tiefer Sorge erfüllt um die Zukunft und Bestand des europäischen Einigungsprozesses: Noch nie zuvor befand sich die Eurozone und mit ihr die gesamte EU in einer so tiefen Krise, noch nie zuvor stand es um einzelne ihrer Mitglieder sowie um die Gemeinschaft insgesamt so ernst. Und noch immer ist eine nachhaltige Lösung dieser Krise nicht in Sicht, während das Krisenmanagement selbst immer mehr zum Mitverursacher der Krise wird, weil die Koordination vieler Regierungen zügige und klare Entscheidungen unmöglich macht. Die Zustimmung der Menschen zu dem schwierigen Prozess, gemeinsam in Europa einen Weg aus der Krise zu finden, nimmt in einer Reihe von Euro-Ländern ab. Grund dafür sind auch politische Fehlentscheidungen in der Sache, eine politische Kommunikation, die die Menschen gegen die „Retter“ aufbringen muss und eine inakzeptable soziale Schieflage der Rettungsmaßnahmen. Die Aufforderung des Bundestags, den Richtlinien-Vorschlag der Kommission für die Finanztransaktionssteuer in den Gremien auf den Weg zu bringen, geht auf grünes Drängen zurück. Wird diese Steuer eingeführt, kann sie zu einer fairen Lastenverteilung beitragen.Weitere Maßnahmen zur Korrektur der sozialen Schieflage in dieser Krise werden darüber hinaus nötig bleiben.

Fehler im Krisenmanagement haben auch dazu geführt, dass die Europäische Zentralbank immer mehr in die Rolle des Krisenmanagers der letzten Instanz gedrängt wurde. Es ist deshalb richtig, sie in bezug auf die Käufe von Staatsanleihen aus dieser Rolle zu befreien – mithilfe einer Ausweitung des EFSF-Kapazität. Falsch wäre es jedoch, sie dafür zu kritisieren, dass sie angesichts der Unfähigkeit der
Regierungen auf dem Sekundärmarkt eingegriffen hat, um Schlimmeres zu verhindern. Ebenso falsch wäre es angesichts der großen Unsicherheiten über die weitere Entwicklung, für die Zukunft weitere Maßnahmen dieser Art aus ideologischen Gründen auszuschließen.

Die europäischen Banken sind wichtigster Hinderungsgrund für eine mutige, echte und umfassende Beteiligung privater Gläubiger in der griechischen Schuldenkrise und andernorts und außerdem wichtigster Ansteckungskanal für ein Ausbreiten der Krise auf andere Länder. Hier zeigt sich, wie falsch es war, seit 2008 keine konsequente Stärkung der Kapitalbasis vorzunehmen und nach wie vor die Kapitalausstattung an der Kernkapitalquote zu messen, bei der Staatsanleihen aufgrund der Nullgewichtung überhaupt nicht eingehen. Gerade die Bundesregierung hat hier mit ihrer an wenigen deutschen Banken ausgerichteten Politik dazu beigetragen, dass heute erneut staatliche Rekapitalisierungsmaßnahmen bevorstehen. Dieser Fehler darf nun bei der Bankenrettung nicht weitergeführt werden. Es ist falsch, mit einer stärkeren Kapitalausstattung bis Ende Juni 2012 zu warten. Ebenso falsch ist es, die Rekapitalisierung an den Kernkapitalquote auszurichten. Würden die Marktwerte der Staatsanleihen weiter fallen, würden die Kernkapitalquoten rapide fallen, sodass bald die nächste Rettung notwendig wäre. Nötig ist zumindest ergänzend eine Mindestkapitalausstattung im Verhältnis zur gesamten Bilanzsumme, als ein ungewichtetes Maß (leverage ratio). Schließlich ist zu befürchten, dass viele Institute eigenständig nicht in der Lage sein werden, die notwendige Eigenkapitalerhöhung durchzuführen. Sollte dann eine Rekapitalisierung mit Unterstützung der EFSF durchgeführt werden, würde das die jeweilige nationalstaatliche Schuldenquote erhöhen und so eine neuerliche Verschärfung der Staatsschuldenkrise verursachen – so wie bereits in Irland die Inanspruchnahme der EFSF nur aufgrund der Bankenrettung erforderlich war.

Viele Menschen sind zu recht entsetzt, dass nach 2008 die Politik schon wieder bzw. immer noch von den Finanzmärkten getrieben ist. Die Spitzengehälter an der Wall Street sind so hoch wie vor Ausbruch der Krise, die Konzentration von Einkommen und Vermögen hat weiter zugenommen, die Banken sind größer denn je zuvor. Das widerspricht den Ankündigungen von vor drei Jahren. Es braucht daher einen neuen Impuls für eine grundlegende Neuausrichtung der Finanzmärkte. Die Bundesregierung lässt dies bisher vermissen. Wir Grünen fordern deshalb, endlich die Problematik der Großbanken (too big to fail, too interconnected to fail) auch in Deutschland im Rahmen einer Kommission des Deutschen Bundestages systematisch anzugehen, damit Politik wieder in die Lage versetzt wird, die Regeln setzen zu können. Weitere Schritte, wie z.B. eine Regulierung des Schattenbankensektors, müssen dazu kommen.

Neben der Neuordnung der Finanzmärkte gilt es auch, Europa institutionell neu aufzustellen. Ein Fahrplan für die dringend erforderlichen Integrations- und Harmonisierungsschritte vor allem in den Bereichen Haushalt, Steuern, Finanzmarktregulierung und Wirtschaft ist jedoch nicht vereinbart. Dabei liegt hier der Schlüssel zu einer nachhaltigen Lösung der Krise.Wir sind überzeugt: Nur, wenn glaubhafte, echte und umfassende Schritte in Richtung einer starkenWirtschaftsunion gegangen werden, wird sich die Krise lösen lassen. Dies wird unweigerlich mit der Verlagerung nationaler Kompetenzen auf die europäische Ebene und einer Demokratisierung, stärkeren Legitimierung und Kontrolle Europäischer Institutionen, vor allem des Europäischen Parlaments und der Kommission, verbunden sein. Dafür braucht es eine Vertragsänderung und für diese eines demokratischen legitimierten Prozesses – einen Konvent. Denn weder die konkreten Krisenmaßnahmen noch die Veränderungen in Europa dürfen Hinterzimmern vorbehalten bleiben, wenn die Demokratie in dieser Krise nicht unter die Räder geraten soll.

Dies ist eine Erklärung von Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, Oliver Krischer, Tabea Rößner, Nicole Maisch, Kerstin Müller, Ingrid Nestle, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Katja Dörner, Wolfgang Wieland, Agnes Malczak, Stephan Kühn, Dr. Hermann E. Ott, Dr. Konstantin von Notz, Monika Lazar, Viola von Cramon, Beate Müller- Gemmeke, Wolfgang Strengmann- Kuhn, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Valerie Wilms, Ute Koczy, Bettina Herlitzius, Markus Kurth, Dorothea Steiner, Harald Ebner, Agnes Krumwiede.