Die Ereignisse in der Eurozone stellen uns alle vor enorme Herausforderungen. Die momentane Situation verdeutlicht, wie sehr die Volkswirtschaften Europas miteinander verflochten sind. Deutschland hat von der Europäischen Union (EU) bislang stark profitiert. Wir wollen, dass dies auch in Zukunft der Fall sein wird und engagieren uns deshalb für eine solide, realistische und nachhaltige Lösung zur Überwindung der Eurokrise.

Spanien befindet sich seit Monaten in einer zunehmend untragbaren Situation. Die Investoren meiden spanische Staatsanleihen, da sie – trotz einer geringeren Staatsverschuldung als Deutschland – zukünftige Belastungen durch eine nationale Ban­kenrettung fürchten. Die geplatzte Immobilienblase belastet die Finanzinstitute des Landes massiv. In Folge dessen ist die Kreditvergabe deutlich zurückgegangen und hat, in Verbindung mit massiven Einsparungsprogrammen, die wirtschaftliche Entwicklung des ganzen Landes zum Stillstand gebracht. Auch dadurch ist die Zahl der Arbeitslosen auf rund fünf Millionen und die Jugendarbeitslosigkeit auf über 50 Prozent gestiegen. Das treibt vor allem die jungen Menschen auf die Straße, die ihre Zukunft nicht verloren geben wollen und die gegenwärtige Politik der spanischen Regierung vehement kritisie­ren. Investitionen in zukunftsfähige Wirtschaftsbereiche und die Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze müssen jetzt politische Priorität haben.

Konsolidierungsmaßnahmen dürfen nicht weiter einseitig auf den Schultern der sozial Schwachen abgeladen werden. Die Belastungen durch höhere Verbrauchs­steuern und weitere soziale Kürzungen werden steigen. Die Bevölkerung reagiert in dieser Situation zu Recht mit Unverständnis und Zorn und stellt eine Verbindung zwischen den eigenen Lasten und der Bankenrettung her. Das ist schädlich für die Demokratie und den sozialen Frieden. Der Druck auf Spanien steigt von Tag zu Tag. Aus eigener Kraft kann sich das Land nicht mehr aus der prekären Lage befreien. Die Eurozone ist jedoch auf eine gesunde spanische Volkswirtschaft angewiesen. Als viert­größte Volkswirtschaft ist Spanien eine essentielle Säule des Europäischen Binnenmarktes und der wirtschafts- und währungspolitischen Stabilität der Eurozone insgesamt.

Die europäischen Rettungsschirme sehen für einen solchen Fall vor, dass dem Finanzsektor gesondert geholfen werden kann. Ein gezieltes Eingreifen im Bankensektor zum jetzigen Zeitpunkt kann den Druck auf Spanien reduzieren. Der Zinsvorteil bei Hilfen durch die EFSF kann sich auf ca. 2,5 Mrd. Euro pro Jahr belaufen und Spanien somit entlasten. Ohne Rekapitalisierungshilfen und Restrukturie­rungen würden viele Banken zusammenbrechen, mit möglicherweise desaströsen Folgen für die spani­sche Wirtschaft. Da gerade die spanischen Sparkassen betroffen sind, wären die Folgen für die Sparer beträchtlich. Allerdings erhöhen die Hilfskredite die spanische Schuldenquote um fast zehn Prozentpunkte. Die gefährliche Verbindung zwischen Staatenrisiko und Bankenrisiko bleibt bestehen.

Das vorliegende Memorandum of Understanding (MoU) weist in zentralen Punkten in die richtige Richtung. Um die kurzfristige Stabilität des spanischen Finanzsystems nicht zu gefährden, begrüßen wir den Antrag der spanischen Regierung auf finanzielle Unterstützung durch die Europäische Finanzstabiliserungsfazilität (EFSF) zur zielgerichteten Restrukturierung und Abwick­lung seiner Banken. Kritisiert werden muss allerdings die intransparente Vorgehensweise der spani­schen Regierung, die dem spanischen Parlament selbst eine Debatte über das MoU verwehrt.

Es ist zu begrüßen, dass explizit auch die Beteiligung von Nachrang- und Hybridkapitalgebern gefor­dert wird, um eine private Beteiligung an den Rettungskosten sicherzustellen. Die strenge Begrenzung von Gehältern und Dividenden bei Banken, die Staatshilfe erhalten, ist zentraler Bestandteil des Ab­kommens.

Des Weiteren ist die im MoU geäußerte Absicht, die Stabilisierung des nationalen Finanzsystems möglichst schonend für den europäischen Steuerzahler zu gestalten, ausdrücklich zu begrüßen. Dies kann durch die geordnete Abwicklung nicht-überlebensfähiger Banken erreicht wer­den. Die Abwicklungen müssen auf einer breiten Basis von privater Beteiligung erfolgen. So sollte auch eine Beteiligung unbesicherter Bankgläubiger in Betracht gezogen werden, wie auch vom Präsi­denten der Europäischen Zentralbank Draghi gefordert.

Für die Neuordnung des Bankensektors ist ein differenzierter Zeitplan vorgesehen. In umfassenden Stresstests soll geprüft werden, welche Banken mit Darlehen gerettet werden sollen und welche abge­wickelt werden müssen. Das 18-monatige Programm lässt dabei jedoch auch einen großen Interpreta­tionsspielraum. Bei der Bankenrettung bzw. bei der Abwicklung einzelner Banken ist die Frage der Gläubigerbeteiligung für die tatsächlichen Kosten der Steuerzahler essentiell. Gleichzeitig muss darauf geachtet werden, dass die Sparer und Sparerinnen geschützt werden. Hier lässt das MoU noch Fragen offen. Zwar ist es vorgesehen, Nachrang- und Hybridkapitalgebern bei Abwicklungen und Restruktu­rierungen maroder Banken in die Verlustdeckung mit einzubeziehen.

Daher wird, dafür werden wir Grüne auch weiterhin sorgen, der Deutsche Bundestag zu jedem Zeitpunkt seine Informations- und Beteiligungsrechte wahrnehmen, um zu kontrollieren, dass eine Umsetzung des Programms ökonomisch sinnvoll und mit möglichst geringen Kosten für die europäischen Steuerzahler erfolgt. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags hat sich daher in seiner Sitzung vom 18. Juli 2012 mit einem Beschluss noch einmal deutlich zu seinen Rechten nach §4 (3) Stabilisierungsmechanismusgesetz bekannt.

Es ist beklagenswert, dass notwendige Restrukturierungen von den spanischen Behörden in den ver­gangenen Jahren verzögert wurden. Dies führte auch dazu, dass durch eine Umschichtung auf der Pas­sivseite der Banken haftbares Kapital gemindert wurde und nun nicht mehr für die Beteiligung zur Verfügung steht. Bei der anstehenden Bankenrettung müssen daher Möglichkeiten gesucht werden, dass Nachrangkapitalinvestoren, die mit Blick auf die zu erfolgende Rettung ihr Engagement bereits zum Schaden der Steuerzahler reduziert haben, nachträglich mit einbezogen werden. Um diesen Pro­zess nicht fortzuführen, befürwortet der Deutsche Bundestag bei systemrelevanten Banken eine simul­tane Sofortkapitalisierung, bei Instituten, die sich nicht über den Markt rekapitalisieren können, eine geordnete Insolvenz, um eine weitreichende Gläubigerbeteiligung sicherzustellen und destabilisieren­de Unsicherheit über die nächsten Monate zu vermeiden.

Unklar bleiben auch die finanziellen Rahmenbedingungen bei der Übertragung von notleidenden Ver­mögenswerten auf die Bad Bank (Asset Management Company), die zu einem nicht näher definierten „tatsächlichen (langfristigen) wirtschaftlichen Wert (real economic value, REV)“ vorgenommen wer­den sollen.

Die Grüne Bundestagsfraktion hat sich von Anfang an für eine Aufstockung des ESM und eine frü­hestmögliche Ratifizierung ausgesprochen. Die EFSF war von vornherein als vorübergehender Ret­tungsschirm konstruiert worden und sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt vom ESM abgelöst werden. Der ESM ist als dauerhafter Stabilitätsmechanismus mit einer Bareinlage der EFSF überlegen und muss nicht durch zusätzliche Haftungssummen übersichert werden. Aus parteipolitischem Kalkül hat die Bundesregierung eine frühe Ratifizierung des ESM hinausgezögert. Nun wird sich das Verfahren wegen verschiedener Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht weiter hinauszögern. Und Europa muss warten.

Vor diesem Hintergrund haben die meisten der grünen Abgeordneten, darunter auch ich, dem vorliegenden Antrag des Bundesfinanzministeriums zwar zugestimmt, gleichzeitig aber die Bundesregierung in einem eigenen Antrag aufgefordert,

– die Beteiligungs- und Informationsrechte des Bundestages gemäß dem Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines europäischen Stabilisierungsmechanismus (StabMechG) und dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestag in Angelegenheiten der Europäischen Union (EUZBBG) zu wahren und stets um­fassend, zum frühestmöglichen Zeitpunkt sowie fortlaufend schriftlich und mündlich zu unter­richten. Die Maßgaben aus dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum grünen Organstreitver­fahren vom 19.06.2011 (2 BvE 4/11) sind dabei vollumfänglich anzuwenden.

Zudem fordern wir als Grüne die Bundesregierung auf, sich im Europäischen Rat, in der Eurogruppe und im Rat der Europäischen Union einzusetzen für:

– eine Ausgestaltung des anstehenden Stresstests und der daraus resultierenden Politikempfeh­lungen, welche die Prinzipien der Schonung der Steuerzahler und der Beteiligung von Gläubi­gern als oberste Priorität anerkennt. Insbesondere eine Abfrage im Rahmen des Stresstests, in welchem Umfang Transaktionen in den letzten zwei Jahren stattgefunden haben, die das Nachrangkapital absichtlich reduziert haben, ist dafür notwendig. Nur so kann für den Ab­wicklungs- und Restrukturierungsplan entschieden werden, welche Form die für den Steuer­zahler günstigere ist: Die Rekapitalisierung oder die geordnete Abwicklung der Banken unter rückwirkender Einbeziehung des Nachrangkapitals.

– eine starke Rolle des Europäischen Parlaments, welches im Rahmen eines sogenannten „Gent­lemen‘s agreement“ gemeinsam mit dem Rat der Europäischen Union den schnellen und prio­ritären Aufbau einer europäischen Bankenaufsicht, einer europäischen Einlagensicherung und eines Restrukturierungsfonds umsetzt und damit

– die Voraussetzungen zu schaffen, eine direkte Auszahlung der Hilfen an Banken im Rahmen des ESM möglich zu machen, um den Teufelskreis aus Bankenkrise und Staatsverschuldung zu durchbrechen.

Berlin, den 20.07.2012

Dr. Konstantin von Notz