Vor über einem Jahr brachte mich mein damaliger Deutschlehrer auf die Idee, mich um ein Praktikum bei einem Bundestagsabgeordneten zu bemühen. Ich war begeistert von der Vorstellung, selbst einen Blick hinter die Kulissen des Parlamentsbetriebes werfen zu können.

Konstantin von Notz als Abgeordneter unseres schönen Wahlkreises im Herzogtum Lauenburg (etwas Lokalpatriotismus muss sein) war der logische Ansprechpartner.

Nach einem kurzen Bewerbungsgespräch in seinem Möllner Büro stand fest, dass mein Praktikum von Ende April bis Mitte Juni 2012 stattfinden würde.

Also fuhr ich am Morgen des 23. April aus dem beschaulichen Büchen in die Hauptstadt. Voller Vorfreude auf die kommenden Eindrücke und auch etwas nervös ging es vorbei am Schloss Bellevue und am Kanzleramt, ins Herz unserer parlamentarischen Demokratie: den Bundestag.

Als ich in Konstantins Büro ankam, war er gerade in ein Vorbereitungsgespräch für die gleich anstehende Sitzung der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ vertieft. Er blickte mich fragend an und wollte dann wissen, was ich denn eigentlich wolle. Ihm fiel dann aber sofort ein, dass ich der Praktikant sein müsste (Jakob, nicht Lukas).

So wurde ich gewissermaßen hineingeworfen in den sehr hektischen, manchmal turbulenten,  aber immer spannenden Ablauf einer Sitzungswoche.

Die immer gleiche Struktur der Sitzungswochen ist leicht zu erkennen. Es beginnt mit der Arbeit auf der Büroebene am Montag und endet dann über fraktionsinterne Arbeitskreise und Ausschusssitzungen schließlich bei den Parlamentsdebatten. Trotz des strikten Ablaufs habe ich in den sieben Wochen kaum Routine erlebt. An keinem anderen Ort dürfte man den wechselnden politischen Wellenschlag so deutlich verspüren wie im Bundestag.

In die sieben Wochen fielen die „kleinen Bundestagswahlen“ in NRW und die Landtagswahlen in Schleswig Holstein. Für letztere hat Konstantin zuerst intensiv Wahlkampf gemacht und anschließend Koalitionsverhandlungen geführt. Die anstehenden Abstimmungen über Fiskalpakt und ESM warfen zudem ihre langen Schatten voraus. Speziell in Konstantins Büro nahmen die Arbeiten zu einer angestrebten Urheberrechtsreform breiten Raum ein.

Es sollte also nie langweilig werden und wenn es doch mal Zeit zu überbrücken gab, habe ich mich immer gerne in den täglichen Pressespiegel vertieft.

Nach meiner Ankunft im Büro ging es dann gleich in die Arbeitsgruppe „Demokratie und Staat“, der Enquete-Kommission. Sehr kleinteilige und detaillierte Fachfragen wurden hier diskutiert. Auch wenn ich der Diskussion als „Hineingeworfener“ inhaltlich nur schwer und überhaupt nur abschnittsweise folgen konnte, ist mir der sehr sachliche Diskussionsstil sofort aufgefallen. Unter anderem ist die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries Mitglied in dieser AG gewesen. Nach anfänglicher Begeisterung, immer wieder den prominenten Gesichtern des Politikbetriebs zu begegnen, hat sich in dieser Beziehung bald Routine eingestellt. Mit Herrn Brüderle Fahrstuhl gefahren zu sein, hinter Herrn Kauder auf dem Rollband gestanden zu haben und Peer Steinbrück auf dem WC begegnet zu sein, ist mir trotzdem in Erinnerung geblieben.

Der nächste Tag begann mit einer Sitzung des fraktionsinternen Arbeitskreises, der für Innen- und Rechtspolitik zuständig ist. Den sehr offenen und manchmal auch recht kontroversen  internen Diskussionen konnte ich meistens gut folgen.

In der Innenausschusssitzung am Mittwoch wartete mit Innenminister Friedrich gleich ein,  wenn man das so nennen will, „Highlight“ auf mich. Interessant war es vor allem, die wechselnden Stimmungen im Raum wahrzunehmen. Das Gleiche gilt für die Plenardebatten, die ich verfolgt habe. Wenn man im Fernsehen nur das Gesicht und den Oberkörper des Redners selbst sieht, entsteht ein anderer Eindruck, als wenn man selbst im Raum ist.

Ich habe in den Sitzungswochen verschiedenste Ausschüsse besucht. Immer wieder waren Minister dabei oder prominente Sachverständige wie z. B. der Chef der Bundesarbeitsagentur für Arbeit, Herr Weise, der im Ausschuss für Wirtschaft und Technologie gesprochen hat.

Die Auseinandersetzungen habe ich mitunter als hart, aber insgesamt sehr sachlich empfunden. Politik ist eben doch keine Fernsehtalkshow…zum Glück! Interessanterweise verliefen die Diskussionen nicht immer entlang der Linie Koalitions- Oppositionsfraktionen wie z.B. beim Thema Vorratsdatenspeicherung, auch wenn das wohl eher die Ausnahme darstellt.

An Donnerstagen und Freitagen habe ich regelmäßig Plenardebatten besucht. Im Unterschied zu den Ausschüssen ging es auf dieser „Bühne“ konfrontativer zu. Aktuelle politische Ereignisse klangen in den Reden immer an. Gerade im Vorfeld der Wahl in Nordrhein-Westfalen war die Anspannung deutlich zu spüren. Insbesondere die Vorsitzenden der Fraktionen und die Angehörigen der Bundesregierung haben eher Wahlkampfreden gehalten.

Die Zeit zwischen den Sitzungen ist unglaublich eng belegt mit Interviews, Expertengesprächen, Treffen mit Lobbyisten oder Diskussionsveranstaltungen.

Besonders interessant fand ich die Abendveranstaltungen. Nachdem sich die Tür zum Politikbetrieb einen Spalt geöffnet hatte, stieß ich auf immer mehr spannende Angebote. Ich habe an einigen Veranstaltungen der Heinrich-Böll-Stiftung teilgenommen, der Humboldt-Rede des Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, zugehört und mich durch das Bundesministerium der Justiz führen lassen.

In den sitzungsfreien Wochen habe ich versucht, mich in den Bürobetrieb einzubringen. Neben Arbeiten wie Post holen und Taschen für Besuchergruppen packen, konnte ich auch kleine Aufgaben für Jörn und Nils, die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter von Konstantin, übernehmen. So habe ich z. B. Recherchen zu unterschiedlichsten Fragen gemacht und einige Bürgerbriefe beantwortet.

Selbstverständlich gab es auch immer wieder Leerlaufzeiten zu überbrücken. Es gibt aber wahrscheinlich kaum einen Ort, an dem man diese so gut füllen kann wie im Bundestag. Mit einer großen Menge an Kunst, Information und Geschichte war es leicht, sich zu beschäftigen.

Während eineinhalb Wochen, in denen die Büroverantwortliche Bettina im Urlaub war, habe ich versuchen dürfen, so gut es ging, einen Teil ihrer Arbeit zu erledigen. Da auf ihrem Schreibtisch viele Fäden zusammenlaufen, habe ich durch diese Arbeit einen guten Überblick über die Fülle der Aufgaben eines Abgeordneten und seines Büros bekommen. Viele Dutzend E-Mails, die täglich das Büro erreichen, müssen bearbeitet, eingeordnet oder gelöscht werden. Darunter sind Rundbriefe, Schreiben engagierter Bürgerinnen und Bürger aber mitunter auch insistierende Verschwörungstheoretiker. Der dicke Stapel mit Gesetzesentwürfen, Großen und Kleinen  Anfragen und Berichten vom Wissenschaftlichen Dienst, die jedem Abgeordnetenbüro zugeleitet werden, mussten sortiert werden.

Nie hätte ich gedacht, dass es so viele unterschiedlichste Baustellen und Themen gibt, die vom Parlament bearbeitet werden müssen. Dass sich ein einzelner Abgeordneter aus Zeitmangel mit höchstens 5 Prozent der Texte beschäftigen kann, war mir nicht klar.

Insgesamt bin ich sehr dankbar für die Chance, im Jahr nach dem Abi einen so guten Einblick in den Politikbetrieb bekommen zu haben.

Der Aufenthalt im Bundestag und der Kontakt mit der Arbeitsweise hat mein Zutrauen in die Arbeit der Abgeordneten und des Parlaments gestärkt. Ich war auch beeindruckt von den vielen Möglichkeiten und Angeboten, die der Deutsche Bundestag an Interessierte macht. Ich denke, dass, wenn von einer Entfremdung von Politik und Bevölkerung gesprochen wird, man nicht nur die Bringschuld der Politiker sehen darf, sondern auch die Holschuld der Bevölkerung sehen muss.

Ich habe Jugendliche im Bundestag getroffen, die sich gegenseitig in der tiefen Einsicht bestärkt haben, dass die Abgeordneten nichts machen. Woher dieser Eindruck kommt, kann man sich vorstellen. Wer will, kann sich aber eines Besseren belehren lassen.

Auch glaube ich, jetzt Nachrichten über die deutsche Politik besser beurteilen und einordnen zu können. Nachrichten aus der Zeitung oder dem Fernsehen verbinden sich nun mit lebhaften Vorstellungen, wie es hinter der Kulisse aussehen könnte.

Ich bedanke mich ganz herzlich bei Konstantin und seinen Mitarbeitern Bettina, Jörn und Nils. Ich habe trotz des gelegentlichen Stresses immer ein offenes Ohr für Fragen gefunden. Die Atmosphäre im Büro habe ich als sehr angenehm empfunden und ich bin jeden Tag gerne gekommen.

Vielen Dank!

Jakob Lehr