Notz_Konstantin-von_mittel225. Sitzung, Top 35, 28.02. 2013

Keine Vorratsspeicherung von Fluggastdaten – Richtlinienvorschlag über die Verwendung von Fluggastdatensätzen

Dr. Konstantin von Notz:

Die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten, ihre Verwendung zu Zwecken der Gefahrenabwehr und Kriminalitätsbekämpfung in ganz Europa und ihre Weiterleitung in die USA und Australien haben uns hier schon mehrfach beschäftigt. Heute diskutieren wir zum zweiten Mal über den grünen Antrag zum EU-Richtlinienentwurf zur Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten.

Mit diesem Antrag fordern wir die Bundesregierung schlicht auf, ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht nachzukommen, bei den Verhandlungen in Brüssel eine verfassungskonforme Position zu vertreten. Die einzig verfassungskonforme Position zu diesem Richtlinienentwurf ist seine Ablehnung, da der Richtlinienentwurf den EU-Grundrechten widerspricht und weil er auch nicht verfassungskonform umsetzbar ist. Denn es sind keine behebbaren Kleinigkeiten, die im Richtlinienentwurf falsch liegen; es ist das Gesamtkonzept des Vorhabens, das völlig konträr zu deutschen und europäischen Grundrechten liegt.

Noch nicht einmal die Erforderlichkeit der Fluggastdatenspeicherung für die Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus und der schweren Kriminalität ist nachgewiesen, geschweige denn, dass die enorm hohen Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an Vorratsdatenspeicherungen und präventive Rasterung von Daten auch nur annähernd erfüllt wären. Sie finden eine eingehende rechtliche Argumentation zur EU-Grundrechtswidrigkeit und zur Verfassungswidrigkeit dieses Richtlinienentwurfs in unserem Antrag. Wir haben diese übrigens auch gegenüber Vertretern der Bundesregierung in den Ausschüssen des Bundestages mehrfach vorgetragen.

Ich spare mir die Mühe, diese Argumente hier alle noch einmal vorzutragen; denn sie sind ja, auch bei CDU/CSU und FDP, durchaus bekannt. Wir haben es schon seit zwei Jahren schwarz auf weiß, dass ein Teil der Bundesregierung beim Richtlinienentwurf ebenfalls massive verfassungsrechtliche Bedenken hat.

Ich spare mir auch die Mühe der weiteren verfassungsrechtlichen Argumentation, weil ich zu dem Schluss gekommen bin, dass diese schwarz-gelbe Merkel-Regierung gar kein Interesse daran hat, den Schutz der Grund- und Bürgerrechte des Grundgesetzes als Maßstab der EU-Politik durchzusetzen. Die Argumente müssten ja sonst langsam zu allen durchgedrungen sein. Nicht nur der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, sondern auch die europäischen Datenschutzbeauftragten und die EU-Grundrechteagentur, selbst der juristische Dienst des Rates der EU – ja, genau des Organes der EU, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten sind – halten den Richtlinienentwurf für grundrechtswidrig. Auch der Bundesrat ist, im Wesentlichen wegen datenschutzrechtlicher Bedenken, dagegen.

Dennoch: Schwarz-Gelb mit Merkel an der Spitze setzt offenbar lieber auf den Grundrechteabbau durch die europäische Hintertür. Man glaubt es kaum: Da wird in Brüssel eine Richtlinie verhandelt, die allem widerspricht, was das Bundesverfassungsgericht uns zum Datenschutz aufgegeben hat. Und was macht die schwarz-gelbe Merkel-Regierung im Wissen um diese verfassungsrechtlichen Probleme? Wie immer: Sie sitzt aus, sie schweigt, sie enthält sich – das haben wir dank einer Kleinen Anfrage der Linken nun öffentlich und schriftlich – in der entscheidenden Frage der Stimme.

Es geht hier nicht um ein Detail oder eine kleine Besonderheit des deutschen Datenschutzrechts, die es zu schützen gilt. Es geht um den elementaren, in der Menschenwürde begründeten Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor Rundumüberwachung. Es geht um eine anlasslose Überwachung und Rasterung von Daten, die höchst anfällig ist für unzulässig diskriminierende Praktiken der Sicherheitsbehörden. Berührt sind hier die Grundfesten unseres Verfassungsstaates. Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht deutlich gemacht, dass weitere Vorratsdatenspeicherungen gegen das zentrale Gebot des Grundgesetzes verstoßen – ich zitiere –: „Die Freiheitswahrnehmung der Bürger darf nicht total erfasst und registriert“ werden. Da das Gericht die unsichere Haltung der Bundesregierung in derartigen Fragen kennt, hat es versucht, ihr die Folgen ganz deutlich zu machen: Für die Wahrung dieses Grundsatzes hat sich – Zitat – „die Bundesrepublik in europäischen und internationalen Zusammenhängen einzusetzen“. Die Stimmenthaltung in Brüssel ist also nicht nur politisch ein verheerendes Signal, sondern sie ist auch verfassungswidrig.

Leider müssen wir auch bei der laufenden Diskussion über die Harmonisierung des EU-Datenschutzes berücksichtigen, dass die Bundesregierung sich nicht für den Datenschutz einsetzt und die Schaffung starker Datenschutzstandards eher blockiert, als sie zu befördern. Es gibt also in Wirklichkeit auch keine Abstufung des Handelns dieser Bundesregierung in Sachen Datenschutz der Wirtschaft und Datenschutz der öffentlichen Verwaltung. In beiden Fällen versucht sie, zugunsten der Bürgerinnen und Bürger bestehende rechtliche Bindungen aufzuweichen. Dabei geht es ihr wechselweise um die öffentliche Sicherheit oder die Interessen der Unternehmen. Das Allgemeinwohl oder die Grundrechte werden stets nachrangig eingestuft.

Dass die Bundesregierung die Verhandlungen über die Vorratsspeicherung von Fluggastdaten so geschehen lässt, erzeugt ein politisches Klima, das es der EU-Kommission ermöglicht, schon vor Verabschiedung der Fluggastdatenrichtlinie eine Ausschreibung in Höhe von 50 Millionen Euro zu veröffentlichen, um die Schaffung der staatlichen Fluggastpools, die die Richtlinie vorschreibt, zu fördern. In diesem politischen Klima hat die International Air Transport Association, die IATA, nun auch ein Konzept für eine New Distribution Capability, NDC, entwickelt. Hinter diesem Projekt verbirgt sich eine private Vorratsspeicherung von Fluggastdaten, die dazu dienen soll, maßgeschneiderte Preisangebote je nach Geldbeutel des Kunden zu machen. Die Pläne der IATA widersprechen dem geltenden europäischen Datenschutzrecht. Aber wen stört das, wenn die Mitgliedstaaten im Rat seelenruhig über grundrechtswidrige Richtlinien beraten?

Die Enthaltung der Bundesregierung bei der Fluggastdatenrichtlinie zeigt ihre Handlungsunfähigkeit und ihre mangelnde Sensibilität für Grund- und Bürgerrechte. Sie zeigt aber vor allem auch eine erschreckende europapolitische Blindheit. Müsste das Bundesverfassungsgericht über ein Gesetz zur Umsetzung der Fluggastdatenrichtlinie entscheiden, könnte das massive Folgen für den rechtlichen Zusammenhalt in der Europäischen Union haben. Denn das Bundesverfassungsgericht stünde dann vor der Wahl, entweder erstmals das Europarecht direkt anzugreifen, weil es keinen angemessenen Grundrechtsschutz gewährleistet, oder aber sich in Widerspruch zu seiner eigenen jüngsten Rechtsprechung zur Vorratsdatenspeicherung und zur präventiven Rasterfahndung zu setzen. Ersparen Sie sich und uns diese Niederlage für die Grundrechte des Grundgesetzes und die europäische Harmonisierung!

Für die Verhütung und Bekämpfung des Terrorismus und der schweren Kriminalität brauchen wir sie nicht, diese Speicherung von 19 Datenkategorien von mehr als 1 Milliarde Flugpassagieren in der EU in einem staatlichen Datenpool. Wir brauchen auch nicht den Zugriff unzähliger Sicherheitsbehörden aus allen 27 EU-Staaten auf deutsche Datenpools, schon gar nicht, solange es für diese keine adäquaten EU-Datenschutzstandards gibt. Wir brauchen ihn nicht, diesen präventiven Abgleich mit anderen Datenbeständen. Und wir wollen sie nicht, diese zusätzliche anlasslose Überwachung zulasten des Datenschutzes und um den Preis der Diskriminierung.

Noch ist die Richtlinie zur Vorratsspeicherung von Fluggastdaten nicht verabschiedet. Deswegen heute noch einmal mein Appell an die schwarz-gelbe Merkel-Regierung: Tragen Sie die Maßstäbe des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung aus dem Grundgesetz nach Europa, statt den politischen Grundrechteabbau durch die europäische Hintertür zu betreiben! Positionieren Sie sich klar gegen diesen Richtlinienentwurf, und setzen Sie Ihre Verhandlungsmacht ein. Hinter Ihnen steht nicht nur das Bundesverfassungsgericht, sondern hinter Ihnen stehen auch die Verfassungsgerichte anderer EU-Mitgliedstaaten, zum Beispiel von Österreich und Rumänien.