246. Sitzung, 13.06.2013, TOP ZP

wohl alle in diesem hohen Hause mit dem Datenschutz befassten Kolleginnen und Kollegen dürften in den letzten Tagen kaum viel anderes gemacht haben als die Berichte und Enthüllungen im Prism-Skandal zu lesen und zu kommentieren. Eine aktuelle Datenschutzdebatte des Deutschen Bundestages kann und darf diesen aktuellen Vorgang nicht ignorieren. Denn er zeigt eine Dimension auf, die leider die schlimmsten Befürchtungen der zurückliegenden Jahre wahr werden lässt.

Das zentrale Argument der Datenschützer war und ist ja, dass die technologischen Möglichkeiten und die technische Gesamtentwicklung dahin gehen, eine weitgehend totale Überwachung von Menschen auch im Internet zu realisieren. Mit Prism sehen wir, dass konkret mit aller Macht genau daran gearbeitet wird. Und wie weitgehend bereits jetzt der Zugriff durch den US-Geheimdienst NSA realisiert wurde. Wir dürfen davon ausgehen, dass Millionen von Bundesbürgern als Nutzerinnen und Nutzer des Internet betroffen sind. Das ist ungeheuerlich, ein Skandal ungeahnten Ausmaßes und muss von diesem Haus zurückgewiesen werden!

Wir können und dürfen es nicht hinnehmen, dass die Grundrechte der Bundesbürger auf diese Weise leerlaufen, dass letztlich allein der Serverstandort über Datensicherheit oder Datenwillkür entscheidet. Wir dürfen es nicht hinnehmen, dass die digitalen Marktplätze des Web und die Kommunikationsdienste mit allen ihren Vorzügen, aber eben auch mit dem ultimativen Ziel, möglichst umfangreichen persönlichen Traffic von Bürgerinnen und Bürgern zu erzeugen, dem freien Zugriff eines Sicherheitsapparates offen stehen, der nur noch durch Geheimgerichte und geheim bleibende Verfügungen kontrolliert zu werden scheint. Wenn wir diese Situation nicht in den Griff bekommen, wird auch der gesamte innereuropäische Grundrechtsschutz entwertet, wird zur Farce. Denn wie sollen bei uns Datenschutzvorgaben gerechtfertigt werden, wenn gleich einen Klick weiter die reine Willkür herrscht?

Ich danke in diesem Zusammenhang dem Bundesbeauftragten für seinen gestrigen Besuch im Innenausschuss und seine Erläuterungen zur Rechtsgrundlage, auf die sich die US-Regierung beruft. Die Bundesregierung war dazu ersichtlich nicht bereit. Sie tat so, als hörte sie von FISA zum ersten Mal, dabei dreht sich beispielsweise die Cloud-Debatte schon seit Jahren um kaum etwas anderes. Angesichts der sehr weitgehenden, unwidersprochenen Erkenntnisse in den Medien und der bereits erfolgten, sehr offensiven Rechtfertigung des Programms durch Präsident Obama halte ich die Vorgehensweise der Bundesregierung für verantwortungslos und verfassungsvergessen.

Die Bundesregierung ist nicht nur gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch gegenüber der bundesdeutschen Internetwirtschaft verantwortungslos, deren Geschäfte mit den vollüberwachten US-Unternehmen jetzt auf der Kippe stehen und die ihre Kunden nicht verlieren wollen. Die schwarz-gelbe Koalition spielt deshalb auf Zeit, weil sie kein Interesse am Grundrechtsschutz hat. Sie wird, wie in dieser Legislaturperiode noch immer, auf groteske symbolische Veranstaltungen verfallen, um ihr Interesse zu simulieren und die berechtigte Empörung zu mildern, aber konkret liefern wird sie auch hier nicht.

Wir haben dem Bundesbeauftragten für Datenschutz und seinen Mitarbeitern für die herausragende Arbeit der vergangenen Jahre zu danken. Der Bundesbeauftragte hat in einer großen Fülle von Einzelfragen in den zurückliegenden Jahren deutliche Präsenz gezeigt, öffentlich interveniert und für die Interessen des Datenschutzes Partei genommen und gestritten. Gerade die alle zwei Jahre vorgelegten Tätigkeitsberichte des Bundesbeauftragten zeigen die große Bandbreite der Fragen, mit denen der Datenschutzbeauftragte und sein Team konfrontiert war.

Die Tätigkeitsberichte offenbaren dabei eine spezifische Perspektive gewissermaßen aus dem IT-Maschinenraum vor allem der Bundesbehörden auf die Politik und die Regierungsarbeit, bei der die gesellschaftspolitische Bedeutung von Privatheit und Datenschutz auf eindrückliche Weise verdeutlicht wird. Peter Schaar hat dabei auch im Berichtszeitraum 2009/2010 nicht darauf verzichtet, den Finger in die Wunde zu legen, wo nötig, und auch deutliche Worte der Kritik zu finden. Dabei wurden in zahlreichen Fällen konstruktive Lösungen gefunden und es wurde wohlabgewogen argumentiert.

Die Entschließung des Deutschen Bundestages, ihr Inhalt sowie ihr Zustandekommen an sich reflektiert diese Arbeit und bedeutet eine angemessene Würdigung. Denn längst hat sich das Feld des Datenschutzes zu einem hoch kontroversen Politikfeld weiterentwickelt mit einer wachsenden auch tagespolitischen Bedeutung. Vor diesem Hintergrund ist eine konsensuale Entschließung keinesfalls selbstverständlich. Entsprechend wurde auf Arbeitsebene auch um die Formulierungen gerungen.

Erlauben Sie mir einige Erläuterungen zum Ergebnis. Sicherlich hätten wir uns eine deutlichere Formulierung bei der Frage der Unabhängigkeit der Datenschutzbehörden gewünscht. Wir haben bereits in mehreren Anträgen die Unabhängigkeit auch des Bundesbeauftragten für Datenschutz gefordert. Stattdessen ist er immer noch beim Bundesinnenministerium angebunden und kann auf unterschiedlichste Art und Weise genötigt werden. Schon der bloße Anschein aber verletzt die Ausübung der Aufgaben seines Amtes.

Wir hätten uns auch eindeutigere Formulierungen bei ELENA gewünscht. Denn wir alle wissen doch, wie es sich tatsächlich zugetragen hat. Die Empörung in der Bevölkerung über dieses gigantische Datensammelprojekt war am Ende so groß, und so viele Experten hatten sich kopfschüttelnd geäußert, dass Frau von der Leyen und die Bundesregierung am Ende gar nicht mehr anders konnten als das Projekt stillzulegen. Da war keine tiefere Einsicht zu spüren, meine Damen und Herren!

Und natürlich wirkt die Passage der Entschließung zur Anti-Terror-Datei fast schon etwas autistisch angesichts der massiven Vorgaben aus Karlsruhe, die etwa zeitgleich zu unseren Verhandlungen der Entschließung eintrudelten. Da stecken Arbeitsaufträge in größerer Anzahl drin, meine Damen und Herren, und wir Grünen werden das auch in der kommenden Legislaturperiode kleinlichst nachhalten, was der Gesetzgeber da liefern muss. Weil wir wie das oberste Gericht der Auffassung sind, dass eine derartige Datei wie übrigens die Rechtsextremismus-Datei auch eine rechtsstaatliche Gratwanderung bedeutet, die eine besonders sorgfältige datenschutzrechtliche Austarierung erforderlich macht.

Zwei Themen werden in der Entschließung unseres Hauses zum Tätigkeitsbericht überhaupt nicht erwähnt: Die vollkommen gescheiterte Initiative der Koalition für ein Beschäftigtendatenschutzgesetz als auch die Kassation des Gesetzes der großen Koalition und Vorgängerregierung zur Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht. Vor allem mit der Vorratsdatenspeicherung schließt sich der Kreis: massenhafte, anlasslose und rechtlich verpflichtende Speicherungen der Daten unterschiedslos aller Bürgerinnen und Bürger sind der Einstieg in eine Überwachungsgesellschaft, die mit unserem Grundgesetz absolut nicht zu vereinbaren sind. Diesen Dammbruch gilt es zu verhindern, und dafür werden wir Grünen nicht müde werden zu streiten.

 Vielen Dank!