8. Sitzung, 16.01.2014, TOP 5:

Rede Karenzzeiten 17-01-14Die Rede als Videomitschnitt finden Sie hier und im Wortlaut weiter unten. Zur besseren Einordnung der Debatte kann zunächst ein Kommentar gelesen werden. Des Weiteren finden Sie hier den Antrag der Grünen Bundestagsfraktion.

Gestern dagegen, heute dafür – GroKo nun doch für gesetzliche Karenzzeit-Regelung

Eckhard von Klaeden wechselte noch während der 17. Wahlperiode direkt aus dem Kanzleramt zur Daimler AG und ist dort heute Leiter der Abteilung „Politik und Außenbeziehungen“. Wie vor Kurzem bekannt wurde, sucht der Bundeskanzleramtschef a.d. von Kanzlerin Merkel, Ronald Pofalla, seine berufliche Zukunft im Vorstand der Deutschen Bahn. Die wiederholten, direkten Wechsel von ehemaligen Spitzenpolitikern aus dem Kanzleramt sorgen derzeit für berechtigte öffentliche Kritik und Ablehnung.

Da sich Ronald Pofalla als Bundeskanzleramtsminister mehrfach, auch kurz vor der Bundestagswahl noch, mit Vertretern der Deutschen Bahn getroffen hat, steht der Verdacht der Vorteilsnahme im Raum. Dies ist kein neues Phänomen. Im Gegenteil: Wir diskutieren im und außerhalb des Bundestages seit mehreren Jahren über die Notwendigkeit von verpflichtenden, gesetzlichen Karenzzeitregelungen wie es sie zum Beispiel für politische Beamte, für EU-Kommissare und in vielen anderen Ländern bereits seit langem gibt.

Für uns Grüne war und ist dabei klar: Niemand hat grundsätzlich etwas gegen eine berufliche Neuorientierung von Politikerinnen und Politikern in Richtung Privatwirtschaft. Im Gegenteil: Wer nicht will, dass Politikerinnen und Politiker ihr ganzes Leben lang ausschließlich Politik machen, in dessen Interesse liegt die Möglichkeit derartiger Wechsel. Um von vornherein mögliche Interessenskonflikte und den Eindruck von Mauscheleien zu vermeiden, braucht es aber eben klare Regeln für derartige Wechsel. Schon der Anschein, dass politische Entscheidungen aus Regierungszeiten anschließend mit hoch dotierten Tätigkeiten entlohnt werden, untergräbt das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Unabhängigkeit der Politik und unser demokratisches System.

Als Grüne Bundestagsfraktion sagen wir seit langem: Die von der neuen Bundesregierung bislang propagierten Selbstverpflichtungen reichen eben nicht aus. Beste Beispiel hierfür ist der anvisierte Wechsel von Ex-Kanzleramtschef Pofalla: Wie die Kanzlerin ja selbst medial verbreiten ließ, forderte sie ihren Kanzleramtschef und engen Vertrauten selbst dazu auf, zwischen dem Ausscheiden als Chef des Amts und dem Wechsel zur Deutschen Bahn eine gewisse Zeit verstreichen zu lassen. Oder deutlicher: Die Kanzlerin forderte ihren engen Vertrauen auf, sich für eine gewisse Zeit selbst zu verpflichten, den Wechsel nicht zu vollziehen – woran sich Ronald Pofalla jedoch offenbar nicht halten wollte. Einen klareren Beleg dafür, dass Selbstverpflichtungen in diesem Bereich nicht ausreichen, kann es gar nicht geben.

Daher sagen wir als grüne Bundestagsfraktion auch weiterhin klar: Eine gesetzliche Karenzzeitregelung für ausscheidende Regierungsmitglieder sowie Staatssekretärinnen und Staatsekretären ist lange überfällig. Auch im Vorfeld der gestrigen Debatte haben wir erneut, wie bereits in den letzten Legislaturperioden, wieder einen entsprechenden Antrag in den Bundestag eingebracht. In unserem Antrag fordern wir die Bundesregierung auf, endlich eine gesetzliche Regelung vorzulegen. Unmittelbare Jobwechsel in Bereiche, die im direkten Zusammenhang mit der früheren dienstlichen Tätigkeit stehen, sollen eingeschränkt und mögliche Interessenverflechtungen von einem unabhängigen Gremien überprüft werden. Liegen diese nicht vor, soll einem sofortigen Wechsel nichts im Wege stehen. Liegen diese vor, soll lediglich eine gewisse Karenzzeit eingehalten werden.

In den letzten Tagen immer wieder gehörte Vergleiche mit „Berufsverboten“ sind für mich nicht ansatzweise nachzuvollziehen. Auch wird hier mitnichten eine „Neiddebatte“ geführt. Vielmehr geht es um die Transparenz unseres politischen Systems und das Vertrauen in unsere Demokratie. All dies habe ich auch im Rahmen meiner gestrigen Rede im Plenum des Bundestages deutlich gemacht. Im Vorfeld der Debatte hatten sich Union, die sich schon lange gegen eine entsprechende gesetzliche Regelung wehrt, aber auch die SPD, die sich bislang immer für eine gesetzliche Regelung einsetzte, darauf verständigt, es dem Kabinett zu überlassen, eine Selbstverpflichtungsregelung vorzulegen. So argumentierte u.a. Hans-Peter Uhl (CSU), seines Zeichens immerhin Justiziar der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, während der gestrigen Debatte, dass eine gesetzliche Regelung in diesem Bereich nicht möglich sei.

Angesichts der von allen Rednerinnen und Rednern der Großen Koalition während der gestrigen Debatte vertretenen Position, dass es keiner gesetzlichen Regelung bedarf, war ich doch sehr verwundert, als heute morgen über die Ticker lief, dass die Bundesregierung nun doch plant, eine ebensolche gesetzliche Regelung vorzulegen. Diese Entscheidung kommt nicht nur einer 180 Grad-Kehrtwendung gleich, mit ihrer Kurswendung düpiert die Bundesregierung zugleich die Koalitionsabgeordneten, die wenige Stunden zuvor noch den Kurs “ihrer” Bundesregierung im Plenum des Bundestages mit Verve verteidigt hatten. Ob Vorratsdatenspeicherung oder Karenzzeiten – scheinbar hat sich die Große Koalition am Anfang der Legislatur vorgenommen, die Wählerinnen und Wähler, aber auch die eigenen Abgeordneten mit kurzfristigen Kehrtwenden zu überraschen. Bei den Karenzzeiten warten wir nun gespannt, was das Bundeskabinett tatsächlich vorlegen wird. Genauso warten wir weiter mit Spannung auf die endgültige Absage der Großen Koalition zur Vorratsdatenspeicherung – auch sie wäre überfällig.

Plenarrede im Wortlaut:

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Als nächsten Redner rufe ich auf Dr. Konstantin von Notz für Bündnis 90/Die Grünen.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen der Großen Koalition, Ihre Argumentationsweise ist höchst widersprüchlich. Auf der einen Seite sagen Sie, Sie wollen am gesetzlichen Status quo nichts ändern. Auf der anderen Seite wird in den letzten Tagen immer wieder an Vorgänge von vor zehn Jahren, an Joschka Fischer und Matthias Berninger, erinnert, die offensichtlich vielen noch lebhaft vor Augen stehen.

Wenn es um die Kollegen von Klaeden, Fahrenschon und Pofalla geht, dann ist das alles für Sie kein Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union. Wenn es um Gerhard Schröder und Kurt Beck geht, echauffieren Sie sich öffentlich und medial ohne Ende.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Das ist widersprüchlich und trägt argumentativ nicht. Sie offenbaren damit selbst: Wir brauchen eine solche Regelung.

Herr Kollege Özdemir, herzlichen Glückwunsch auch von mir zu Ihrer ersten Rede! Wenn das alles im SPD-Wahlprogramm steht, ist das eine feine Sache. Aber jetzt regieren Sie, und jetzt müssen Sie umsetzen, was Sie ins Wahlprogramm geschrieben und den Menschen versprochen haben. Kaum dass Sie zwei Monate regieren – auf der landespolitischen Ebene wird von Herrn Stegner noch die große Rhetorik angewandt –, sind Sie hier wachsweich und fordern auf einmal Selbstverpflichtungsregelungen. Das ist inkonsequent. So geht es nicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ihr habt lange nicht mehr regiert!)

Dass wir eine Regelung brauchen, zeigt auch die Kanzlerin. Sie lässt verbreiten, sie selbst habe ihrem Kanzleramtsminister eine Zeit im Abklingbecken empfohlen. Aber er hält sich halt nicht daran. Ihr engster Vertrauter hört nicht auf die Kanzlerin. Daran sehen Sie, wo Sie mit Ihren Selbstverpflichtungen landen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Nummer „Pofalla selbstverpflichtet Pofalla“ oder, um es für Sie ein bisschen anschaulicher zu machen, „Gerhard Schröder selbstverpflichtet Gerhard Schröder“ funktioniert nicht. Deswegen brauchen wir eine gesetzliche Regelung.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das Grundproblem der Debatte ist der böse Schein, den solche direkten Wechsel erzeugen. Uns geht es nicht darum, den Wechsel aus einer Regierungsfunktion in die Privatwirtschaft grundsätzlich zu verhindern, schon gar nicht dauerhaft. Um es für uns Grüne noch einmal glasklar zu sagen: Natürlich muss ein Wechsel zwischen Politik und Wirtschaft möglich sein, insbesondere wenn man nicht will, dass jemand, der einmal Politik macht, immer Politik machen muss. Aber ohne eine entsprechende Regelung – das zeigt doch nun die seit Wochen anhaltende Debatte über den Kollegen Pofalla – nimmt die Glaubwürdigkeit unseres politischen Systems, unserer Demokratie Schaden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Uns geht es darum, für den Fall eines von einem unabhängigen Gremium festgestellten Interessenkonflikts eine Übergangsfrist zu schaffen, die diesen bösen Schein abwendet und dafür sorgt, dass Politik und Wirtschaft nicht in Misskredit geraten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hören Sie endlich auf, diese Diskussion mit Nestbeschmutzeranfeindungen zu führen! Diejenigen, die ein offensichtliches gesellschaftliches Problem ansprechen, sind nicht die Urheber. Die schärfsten Töne in dieser Debatte kommen aus der CDU, und zwar aus dem Kreisverband des Kollegen Pofalla, aus dem schönen Kleve. Das sind die Scharfmacher in der Debatte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es scheint also ein gesellschaftliches Problem zu geben.

Noch ein Wort zu dem Vergleich mit Berufsverboten, den ich in den letzten Wochen so oft gehört habe. Wollen Sie ernsthaft behaupten, dass die heute bestehenden Regelungen im Beamtenrecht und im Handelsrecht Berufsverbote sind?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Berufsverbote haben Tausende Bürgerinnen und Bürger von ihrem Anspruch auf Aufnahme in den öffentlichen Dienst aus politischen und ideologischen Motiven dauerhaft ausgeschlossen. Bei den Karenzzeiten für ehemalige Regierungsmitglieder geht es darum, nur für den Fall eines unabhängig festgestellten Interessenkonflikts überschaubare Fristen zu schaffen, um einen Interessenkonflikt zu vermeiden. Ihr Vergleich ist zynisch, unsachlich, und ich weise ihn aufs Schärfste zurück.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Herr Kollege, denken Sie ein bisschen an Ihre Redezeit.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss.

Transparenzverpflichtungen, Karenzzeiten und klare Spielregeln sind schon heute internationaler Standard. Entsprechende gesetzliche Vorschläge liegen hier im Hause seit langem auf dem Tisch. Wir fordern Sie noch einmal auf: Beenden Sie den Zustand der Rechtsunsicherheit! Schaffen Sie endlich eine klare gesetzliche Regelung!

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Claudia Roth:

Danke, Konstantin von Notz.