Konstantin von Notz im Gespräch mit "RechtsanwältInnen gegen Massenüberwachung", die vor dem deutschen Bundestag protestieren. Bild: Feldhaus/Grüne Bundestagsfraktion.. Bild: O. Feldhaus/Grüne Bundestagsfraktion

Am Rande einer Demonstration von RechtsanwältInnen gegen Massenüberwachung. Bild: O. Feldhaus/Grüne Bundestagsfraktion

Außenpolitisch stehen wir aktuell vor zwei unterschiedlichen ganz gravierenden Herausforderungen,die gleichwohl miteinander verbunden sind. In der Ukraine bricht sich Putins neu-russischer Imperialismus Bahn. Frau Merkel kehrt gerade von einer wichtigen USA-Reise zurück, bei der die Ukraine und die Wirtschaftsbeziehungen beider Staaten, bedauerlicherweise aber nicht die derzeitige Überwachungs- und Geheimdienstaffäre zentrale Themen waren. Und der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages stimmt in der kommenden Woche darüber ab, ob und wie Edward Snowden als Zeuge vor dem Ausschuss gehört werden soll. Was man derzeit oft vergisst: Nach monatelangem Leugnen der für jeden offensichtlichen Tatsache, dass es ein relevantes Problem in Sachen Überwachung gibt, wurde vor wenigen Wochen im Parlament – nunmehr einstimmig – dieser Untersuchungsausschuss eingesetzt und damit fraktionsübergreifend anerkannt, dass es ein relevantes Problem mit massenhafter Überwachung gibt, dem wir uns dringend annehmen müssen, wenn die weitere Erosion unseres Rechtsstaates aufgehalten werden soll.

Edward Snowden hat, nach seiner Flucht in Moskau gestrandet, wenn man so will, lediglich in Putins Russland Sicherheit vor amerikanischen Diensten und Strafverfolgungsbehörden finden können. Das für sich genommen ist tragisch. Denn auf der Suche nach einer geschlossenen Allianz zwischen Europa und den USA im Ukraine-Konflikt wird ja gerade viel von den gemeinsamen, westlichen Werten gesprochen. Hier handelt es sich exakt um die Werte der freien Welt, die Edward Snowden glaubt, durch sein Handeln, verteidigen zu müssen. Angela Merkel, Trägerin der amerikanischen Freiheitsmedaille, wurde in der DDR und mit der ostdeutschen Staatssicherheit groß. Journalisten des Guardian und der Washington Post, die Unterlagen von Edward Snowden veröffentlichten , wurden gerade mit dem renomierten Pulitzer-Preis geehrt. Während westliche Geheimdienste die Veröffentlichung zu verhindern suchten, Redaktionsräume stürmten und Nägel durch Festplatten schlagen ließen, wurden die Journalisten für ihr mit der Veröffentlichung zum Ausdruck gebrachtes Engagement für die Freiheit dekoriert – zu Recht.

Die letzten Monate und gerade das Agieren der mächtigsten deutschen Politikerin in der sogenannten NSA-Affäre, die längst nicht nur eine Affäre des amerikanischen Geheimdienstes ist, haben einmal mehr gezeigt: Kanzlerin Merkel ist eine politische Realistin, aber auch Opportunistin par excellence. Ihr politischer Oportunismus ist nichts Neues, viel ist darüber geschrieben worden. Er wurde verurteilt und über den grünen Klee gelobt. In der NSA-Affäre erweist er sich als massiv schädlich. Ihre anhaltende Sprachlosigkeit angesichts eines für jeden Laien offensichtlich mit demokratischen Grundwerten nicht zu vereinbarendes Vorgehen verschiedener Dienste schaden den Bürgerinnen und Bürger und ihrem Vertrauen in den Rechtsstaat, sie schaden der Wirtschaft, die gerade auf dem Weg zur Industrie 4.0 ist und sich nach Investitionssicherheit sehnt, und sie schaden dem gemeinsamen westlichen Werteverständnis. Sie schaden zudem massiv dem transatlantischen Verhältnis und füttern die Antiamerikanismen, die sich trotz und gerade in der Ukrainekrise immer lauter Gehör verschaffen.

Die derzeitige Überwachungs- und Geheimdienstaffäre und die Veröffentlichungen Edward Snowdens offenbaren so, dass die vermeintliche Stärke der Kanzlerin gleichzeitig ihre größte Schwächen ist. Sie handelt zwar weitestgehend unideologisch, aber eben auch wertfrei – und das ist, gerade in einer Zeit, in der unsere Bürgerrechte im Feuer stehen, sehr gefährlich. Angela Merkel ist längst eine Sklavin ihres eigenen Opportunismus geworden. Sie kann heute gar nicht anders, als nicht richtig Farbe bekennen.
Und so scheint es derzeit so, als könnte es zum ersten Mal in der Kanzlerschaft Angela Merkels dazu kommen, dass ihr Opportunismus der Kanzlerin in einer Art und Weise auf die Füße fällt, die ihr gefährlich werden könnte. Angela Merkel erkennt derzeit, dass es manchmal in der Politik tatsächlich um Werte und Überzeugungen und die Notwendigkeit geht, auch tatsächlich danach zu handeln. Das ungeheure Ausmaß dieses Überwachungsskandals verlangt mutiges und entschlossenes Handeln nicht nur bei uns. Um verfassungsmäßige Verhältnisse im Sinne der Geltung insbesondere des Grund- und Menschenrechts der Privatsphäre wiederherzustellen, müssten auch auf europäischer und internationaler Ebene rasch und überzeugt gehandelt werden.

Demonstranten danken vor dem Bundestag dem Whistleblower Edward Snowden. Bild: Feldhaus/Grüne Bundestagsfraktion.

Demonstranten danken vor dem Bundestag dem Whistleblower Edward Snowden. Bild: O. Feldhaus/Grüne Bundestagsfraktion.

Edward Snowden, ein 29 jähriger Mitarbeiter eines amerikanischen IT-Dienstleisters der NSA hat gehandelt. Er hat gehandelt, und jeder der ihn dazu hört, kann keinen Zweifel haben, dass er fest an die Menschen- und Bürgerrechte, für die unsere Gesellschaften jahrhundertelang kämpfen mussten, glaubt. Er glaubt offenbar mehr an sie als Politiker wie Merkel, Cameron und Obama, die diese Rechte zwar gern in Sonntagsreden erwähnen, aber in der Exekutive angekommen, diese im Geheimen aushöhlen, aufbohren und diejenigen die das offenbaren, mit allen Mitteln verfolgen. Sicher, Edward Snowden hat amerikanische Gesetze verletzt. Und das ist kein trivialer Vorwurf. Aber die NSA und andere Dienste verletzen zweifelsohne massiv und systematisch geltendes Völkerrecht. Nur Snowden haben wir es zu verdanken, dass die Welt von der Totalüberwachung unserer digitalen Kommunikation erfahren hat. Er ist deshalb ein gutes Beispiel für zivilen Ungehorsam, dessen mögliche Rechtfertigung gar Notwendigkeit, allein die deutsche Geschichte mehrfach belegt. Insofern bin ich überzeugt, dass Edward Snowden im besten Sinne im zivilen Ungehorsam gehandelt hat und letztlich am Ende als Patriot der Demokratie in die Geschichtsbücher eingehen wird.

De letzten Monate haben offenbart: Wir befinden uns in einer Art Endspiel um Rechtsstaatlichkeit. Es geht um die zentralen Werte, die den Westen zum legitimen Gewinner des Kalten Krieges gemacht haben. Es geht um die Werte, deren Missachtung die DDR zugrunde gerichtet hat. Es geht um Demokratie im Digitalen Zeitalter. Es geht darum, nicht alles zu machen, was technisch möglich ist. Es geht um Vertraulichkeit von Kommunikation. Es geht ums Privatsphäre und Menschenwürde.

Die Snowden-Veröffentlichungen stellen eine Zäsur von historischer Bedeutung dar. Es hat sich seit dem 11. September 2001 ganz offenbar eine verfassungsfeindliche Allianz der Geheimdienste entwickelt, die nichts dem Zufall mehr überlassen, und deswegen alles wissen will. Hier hat sich offenbar – fern jeder effektiven parlamentarischen Kontrolle – ein System verselbstständigt, dass sich in demokratischen Rechtsstaaten einfach nicht verselbstständigen darf. Bewusst hat man, das zumindest der seit nunmehr einem dreiviertel Jahr im Raum stehendende und bis heute nicht ausgeräumte Verdacht, “befreundete” Dienste im eigenen Land schnüffeln bis der Arzt kommt, um anschließend die Informationen, die man selbst nicht sammeln darf, wöchentlich am runden Tisch auszutauschen. Vor diesem Hintergrund ist es kurios, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz bisher mit der Behauptung davon gekommen sind, die Weitergabe von Millionen von Datensätzen in einem Monat sei ganz legitim und die jahrelange Nutzung von Programmen wie XKeyscore lediglich “Tests” gewesen.

Die Dienste haben sich offenbar jahrelang, das gilt es in den nächsten Jahren im Zuge der Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses genau zu untersuchen, einer effektiven parlamentarischen Kontrolle entzogen. Wo bei der NSU-Affäre dieses strukturelle Versagen bereits erkennbar wurde haben Edward Snowdens Enthüllungen die Decke nun vollständig und global weggezogen. Der damalige Kanzleramtsminister erklärte vor knapp zehn Monaten ganz offenkundig wider besseres Wissen die Überwachungsaffäre für erledigt. Damit war ein Untersuchungsausschuss unumgänglich geworden. Denn offenbar war das Kanzleramt bereit, systematische und andauernde massenhafte Verletzungen zentraler Bürgerrechte aus politischer Opportunität heraus unter den Teppich zu kehren. Während das Parlament die Notwendigkeit einer umfassenden Aufklärung und die Bereitschaft für das Ziehen tatsächlicher Konsequenzen nunmehr aufgebracht hat, versucht die Bundesregierung derzeit auch weiterhin alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eine weitere Aufklärung Steine in den Weg zu legen.

Demonstranten kritisieren die Verweigerungshaltung der Bundeskanzlerin. Bild: O. Feldhaus/Grüne Bundestagsfraktion.

Demonstranten kritisieren die Verweigerungshaltung der Bundeskanzlerin. Bild: O. Feldhaus/Grüne Bundestagsfraktion.

Derzeit befinden wir uns in einer offenen Auseinandersetzung zwischen Parlament und Exekutive. Die jetzt kurz vor der USA-Reise Merkels an die Presse durchgestochene, den Untersuchungsausschuss und den Parlamentariern aber bewusst vorenthaltene Stellungnahme und Gutachten sind nur ein Beleg hierfür. Die Bundesregierung sendet weiterhin zwei Botschaften ans Parlament. Erstens: Es könnte gut sein, dass ihr Euch strafbar macht, wenn ihr als Parlamentarier mit Edward Snowden redet oder gar nur seine Unterlagen anschaut und wenn Ihr das nächste Mal in die USA reist, hilft Euch auch Eure Immunität als Abgeordnete nichts. Zweitens: Wenn ihr Edward Snowden tatsächlich hört, ist das „Staatswohl” gefährdet, denn eventuell stellen die USA die Geheimdienstkooperation ein, und dann geht der nächste Anschlag in Deutschland auf Euer Konto. Dieses Agieren der Bundesregierung ist von der Form her eine Provokation des Parlaments und materiell eine unverhohlene Drohung an gewählte Volksvertreter. Da scheint die immer klarer zutage tretende Verweigerungshaltung der Bundesregierung, relevante Akten dem hierfür eingesetzten Untersuchungsausschuss zur Verfügung zu stellen, beinahe eine Petitesse zu sein.

Die Frage, wie ernst es dem deutschen Parlament mit der tatsächlichen Aufklärung des derzeitigen Überwachungsskandals und mit der Kontrolle der Exekutive ist, manifestiert sich in der Frage, ob die Mehrheit des Bundestages bereit ist, Edward Snowden live und in Farbe in Berlin zu vernehmen – oder aber eben nicht. Wir wissen: Nur in Berlin wird Edward Snowden frei und vertraulich sein Wissen und seine Erkenntnisse mit den Mitgliedern des Ausschusses teilen können. Alles andere wäre, zumindest für das Format eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, ein Schmierentheater auf Putins Bühne. Sollten sich die Parlamentarier der Großen Koalition tatsächlich gegen eine Vernehmung Snowdens in Berlin stellen, bricht das den Fraktionen von SPD, CDU und CSU das parlamentarische Rückgrat und das Vertrauen in die demokratischen Institutionen wie den Bundestag wird unwiderruflichen Schaden nehmen – Schaden, den auch das Bundesverfassungsgericht so schnell nicht wird heilen können.