Im Februar dieses Jahres konstituierte sich nach einigem großkoalitionärem Hin und Her der Ausschuss „Digitale Agenda“ des Deutschen Bundestages. Im Rahmen des heutigen 24. Politischen Abends des BITKOM soll der Frage nachgegangen werden, welche Rolle der Ausschuss seither innerhalb des Parlaments spielt, mit welchen Zielen und Themen der Ausschuss in die nächsten drei Jahre geht und welchen Einfluss er künftig auf die Netzpolitik ausüben kann? Im Vorfeld des Politischen Abends von BITKOM wurden die netzpolitischen Sprecher der einzelnen Bundestagsfraktionen gebeten, eine vorläufige Bilanz der Arbeit des neu geschaffenen Ausschusses zu ziehen. Dieser Aufforderung bin ich gerne nachgekommen und habe eine solche Zwischenbilanz gezogen. Meinen Beitrag, den Ihr im Original auf den Seiten des Blogs des BITKOM findet, dokumentieren wir auch hier. Einen Live-Stream zum Politischen Abend findet Ihr ab 18 Uhr auf www.bitkom.org.

Ausschuss Digitale Agenda: Netzpolitischer Treiber einer unambitionierten Großen Koalition

Zunächst war der Jubel groß als die Große Koalition am Anfang der Legislaturperiode überraschend ankündigte, einen eigenständigen Ausschuss für´s Digitale im Deutschen Bundestag einrichten zu wollen. Endlich würde netzpolitischen Fragestellungen auf Seiten der Parlaments-Ausschüsse eine angemessene Bedeutung beigemessen, so die allseits zu vernehmende Hoffnung. Die anfängliche Begeisterung legte sich jedoch rasch: Angesichts eines Gremiums, das bis heute Öffentlichkeit und Bürgerbeteiligung scheut und dem noch immer jedwede politische Durchschlagskraft fehlt, machte sich alsbald Ernüchterung breit. Schnell wurde deutlich, dass das Parlament eigentlich schon einmal sehr viel weiter war.

Netzpolitisch hat die schwarz-rote Bundesregierung einen fulminanten Fehlstart hingelegt: Großkoalitionärer Kardinalsfehler am Anfang der Legislaturperiode war es, gleich zwei zentrale Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission „Internet und Digitale Gesellschaft“ nicht zu befolgen: Einerseits verpasste man die Bündelung netzpolitischer Kompetenzen auf Regierungsseite, andererseits befolgte man auch nicht die expliziten Kommissions-Empfehlungen bezüglich der Einrichtung des ständigen Parlaments-Ausschusses. Beides zusammen führt zu einem netzpolitischen Chaos bar jeder Vision, über das auch keine neuen, noch so schick anmutenden Namen hinwegtäuschen können.

Ob beim Datenschutz, dem Urheberrecht, der Netzneutralität oder dem Breitbandausbau – auf beinahe allen netzpolitischen Großbaustellen sind wir in den letzten Jahren aufgrund stark divergierender Interessen zwischen den einzelnen Ministerien kaum vorangekommen. Es fehlte schlicht an einer koordinierenden Stelle und Person, die netzpolitische Fragestellungen mit der nötigen Vehemenz und politischen Durchsetzungskraft vorantrieb. Statt am Anfang der Wahlperiode eine dringend benötigte netzpolitische Kompetenzbündelung auf Regierungsseite vorzunehmen wurden Zuständigkeiten weiter chaotisiert. Dies führte dazu, dass heute nicht etwa weniger, sondern gar mehr Ministerien für netzpolitische Fragestellungen zuständig sind und fühlen. Eine der Bedeutung digitaler Themen angemessene Koordinierung findet, das wurde im Zuge der Vorlage einer „Digitalen Agenda“ einmal mehr schmerzhaft deutlich, noch immer nicht statt. Für das Zusammenleben in der digitalen Gesellschaft essentielle Fragestellungen werden, weitestgehend unabgestimmt und oftmals allzu lieblos, auch weiterhin in zahlreichen Ministerien behandelt. An dem neu geschaffenen Steuerungskreis dürfen jedoch nur die „drei federführenden Ministerien“, nicht jedoch beispielsweise das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz teilnehmen. Da wundert es kaum, dass die nun vorgelegte Agenda ganze Themengebiete wie beispielsweise den digitalen Daten- und Verbraucherschutz oder  das Urheberrecht beinahe komplett ausspart.

Hierdurch ergibt es sich auch, dass der im Bundestag neue geschaffene Ausschuss „Digitale Agenda“, der – was viel über das parlamentarische Selbstverständnis auf Seiten der Regierungsfraktionen aussagt – den gleichen Namen wie das entsprechende Kapitel des Koalitionsvertrages und die nun vorgelegte Aneinanderreihung von Absichtserklärungen der Bundesregierung trägt, bis vor Kurzem keine Federführung bei auch nur einem einzigen Thema innehatte. So durfte und darf der Ausschuss parlamentsintern zwar offiziell über alle Themen „mitberaten“, die politischen Entscheidungen fielen und fallen aber letztlich in anderen Gremien. Dieses Dilemma, das auch dazu führte, dass der neue „Internet-Ausschuss“ erst Wochen nach allen anderen Gremien eingesetzt wurde, erkannten die Regierungsfraktionen viel zu spät, dabei hätte ein Blick in die – vor wenigen Monaten noch selbst verabschiedeten – Handlungsempfehlungen der Enquete-Kommission für Klarheit gesorgt. Auch die sonstigen in der von mir geleiteten Enquete-Projektgruppe „Demokratie und Staat“ erarbeiteten Handlungsempfehlungen wurden bislang von der Großen Koalition weitgehend ignoriert – beispielsweise die zur grundsätzlichen Öffentlichkeit der Sitzungen des neu zu schaffenden Ausschusses und der Beteiligung von Interessierten an der Arbeit. So tagt man bislang weitgehend hinter verschlossenen Türen. Interessierte Bürgerinnen und Bürger, Journalistinnen und Journalisten oder auch Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft erhalten keinen Zugang zu den Sitzungen, ein Stream oder gar Beteiligungstool wie es der Enquete zur Verfügung stand gibt es bis heute nicht.

Die vor allem durch die Union verschuldete anhaltende Blockadehaltung ist vor dem Hintergrund, dass die Enquete-Kommission mit Öffentlichkeit und Beteiligung durchweg positive Erfahrungen gemacht und sich deutlich für einen Ausbau entsprechender Angebote ausgesprochen hatte, nicht nachvollziehbar. Sie ist auch vor dem Hintergrund einer interfraktionellen Verabschiedung der betreffenden Handlungsempfehlungen im Plenum des Bundestages am Ende der vergangenen Legislaturperiode absolut unverständlich.

Bis heute gestaltet sich die Arbeit im neugegründeten Ausschuss äußerst mühsam. An der Erarbeitung der „Digitalen Agenda“ der Bundesregierung wurde der – wohlgemerkt gleichnamige – Parlamentsausschuss, trotz mehrfacher Nachfrage und anderslautender Versprechungen von Seiten der Bundesregierung erst gar nicht beteiligt. So konnten auch wir Abgeordneten uns an inhaltlichen Diskussionen erst nach entsprechenden Leaks beteiligen und durften gespannt den – sehr ernüchternden  – Ausführungen der drei Minister in der Bundespressekonferenz lauschen. Ein guter Stil gegenüber dem Parlament sieht wahrlich anders aus. So kann ich den Unmut meiner netzpolitischen Kollegen Jarzombek und Klingbeil, die sich in einem mehrseitigen Brief über den Umgang der eigenen Regierung mit dem Parlament beschwerten, gut nachvollziehen.

Insgesamt steht der Umgang der Bundesregierung mit dem Ausschuss leider exemplarisch für die Wertschätzung digitaler Gesellschaftsfragen auf Seiten der Bundesregierung. Eigentlich entspricht es gutem Brauch, dass die Ministerinnen und Minister „ihrem“ jeweiligen Ausschuss am Anfang der Wahlperiode einen Besuch abstatten, um sich und ihr Arbeitsprogramm vorzustellen. Obwohl sich für die „Digitale Agenda“ gleich drei Minister zuständig zeichnen, besuchte erst in der vergangenen Sitzung, also mehr als ein Jahr nach dem Start der parlamentarischen Arbeit, der erste Minister den Ausschuss – um die nunmehr erarbeitete und zwischen den Ministerien mehr schlecht als recht abgestimmte „Agenda“ vorzustellen und mehr als vage Absichtsbekundungen zum Besten zu geben.

Auch hier wurde deutlich: Die Bundesregierung hat keinerlei Plan, wie sie mit der Agenda weiter umgehen will. Am wahrscheinlichsten ist, dass es einzelne gesetzgeberische „Single-Auskopplungen“ geben wird, die dann in den jeweils federführenden Ausschüssen behandelt werden. So wird der Ausschuss zu einer Art „Evaluierungs-Gremium“ für das selbsternannte „ Hausaufgabenheft Digitale Agenda“ als Sammelsurium längst bekannter Ankündigungen, die teilweise weit hinter den Vereinbarungen des eigenen Koalitionsvertrags zurückbleiben, degradiert. Das versucht die Große Koalition nun in Ermangelung anderer vorzeigbarer Projekte als Gewinn zu verkaufen.

Vor dem Hintergrund dieser großkoalitionären netzpolitischen Tristesse haben wir als grüne Bundestagsfraktion gerade beantragt, dass zukünftig zumindest sämtliche Ausschuss-Sitzungen zur „Digitalen Agenda“ öffentlich stattfinden, so dass die von der Bundesregierung bislang partout verweigerte Debatte über ihr selbsternanntes „netzpolitisches Hausaufgabenheft“ tatsächlich unter Einbeziehung aller Interessierten stattfinden kann. Auch haben wir entsprechende Vorschläge für ein geeignetes Beteiligungstool unterbreitet. Des Weiteren haben wir vorgeschlagen, dass sich der Ausschuss in den kommenden Monaten einer in meinen Augen noch viel wichtigeren Aufgabe widmet: Der überfälligen Umsetzung der mehreren hundert Handlungsempfehlungen, welche die Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ unter nicht unerheblichen Aufwand und Einbeziehung externen Sachverstandes in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitet und auf die sich alle Fraktionen interfraktionell verständigt haben. Lohnenswert auch deshalb, da ein Großteil der Handlungsempfehlungen weiter reichen als die Vorhaben der Digitalen Agenda.

Statt die Umsetzung einer höchst visionslosen Agenda einer netzpolitisch weiterhin irrlichternden Großen Koalition ohne eigene Kompetenzen und politische Durchschlagskraft parlamentarisch zu begleiten und den Koalitionären von Union und SPD so bei der Errichtung eines weiteren Potemkin’schen Dorfes Schützenhilfe zu leisten, könnte der neue geschaffene „Internet-Ausschuss“ so zeigen, dass es ihm ein tatsächliches Anliegen ist, eine netzpolitisch mehr als unambitionierte Große Koalition zu treiben und den digitalen Wandel unserer Gesellschaft tatsächlich gesetzgeberisch zu gestalten.

Dr. Konstantin von Notz ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender und netzpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen sowie Obmann im Ausschuss „Digitale Agenda“.