60. Sitzung, 16.10.2014, TOP 16, Reden zu Protokoll

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Wir diskutieren seit nunmehr fast zehn Jahren hier im Deutschen Bundestag die notwendigen Schritte für vollständige Unabhängigkeit der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Bündnis 90/Die Grünen haben bereits mehrere Anträge auf Vorlage eines entsprechenden Gesetzes hier in diesem Hause vorgelegt – und werden es auch diesmal wieder tun.

Dieser Schritt war spätestens überfällig seit der Entscheidung der Europäischen Kommission von 2005 zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens, welche die damalige Bundesregierung für Nichtumsetzung der EG-Datenschutzrichtlinie 95/46 rügte, in der die „völlige Unabhängigkeit“ glasklar vorgegeben wird.

Zehn Jahre also hat das Land dank der Politik der Merkel-Regierungen verloren, ein Jahrzehnt vergebener Möglichkeiten, Datenschutz als fundamentalen Vertrauensanker in der digitalen Welt weiter auszubauen. Zumindest die Landesbehörden lösten sich danach Land um Land aus dem Griff der Innenministerien. Alle nahmen das Verfahren der Kommission ernst, nur das Bundesinnenministerium nicht. Vielmehr blockierte das Ministerium über Jahre. Daher muss man zunächst feststellen: Dass eine solche Initiative erst heute kommt, ist an sich schon hochnotpeinlich.

„Sollen die uns doch verklagen“, dröhnte es über Jahre durch die Gänge des BMI, aus dem Verfassungsministerium. So sieht ideologischer Schützengraben par excellence aus. Und das im digitalen Zeitalter, „Willkommen in der Informationsgesellschaft“ kann man da nur sagen.

Auch die aktuelle Große Koalition scheint nicht zu begreifen, dass Datenschutz, dass Privacy der zentrale, der einzig etablierte Vertrauensanker für diese Zeit der digitalen Revolution ist.

Längst wissen wir: Ohne Vertrauen in die ansonsten intransparent und daher für viele bedrohlich daherkommende Datenverarbeitung der Geheimdienste und Konzerne kann es in Deutschland keine erfolgreiche Digitalwirtschaft, aber auch keine effektive Behördenarbeit geben. Ohne Vertrauen keine innovativen Geschäftsmodelle, ohne Vertrauen kein nPerso, keine elektronische Gesundheitskarte und keine DeMail.

Ich empfehle Ihnen an dieser Stelle die heutige Regierungserklärung des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann. Da hat jemand verstanden, worum es bei der Digitalisierung geht und warum es so wichtig ist, den digitalen Wandel unserer Gesellschaft aktiv – auch gesetzgeberisch – zu begleiten. Da wird klar gesagt, was die Große Koalition noch immer nicht verstanden hat, obwohl jedes IT Großprojekt der letzten Jahre gefloppt ist:

Ein moderner, innovativer Datenschutz und mit ihm entstehendes Vertrauen sind die Grundlagen für alles im Netz und im Digitalen. Und statt den Datenschutz zu schwächen, müssen wir ihn, gerade dieser Tage, stärken.

Der Schritt zu dieser Reform ist lange überfällig – nach einem Jahrzehnt –, das klingt noch nett. Das zwanghafte Festhalten des Bundesinnenministeriums an seinen potenziellen und tatsächlichen, oft mittelbaren Einflussmöglichkeiten beim BfDI wäre die wohl zutreffendere Beschreibung. Sicherlich geschah dies nicht zuletzt, weil ein unbequemer und in der Öffentlichkeit sehr aktiver Datenschutzbeauftragter Peter Schaar viele Jahre für das Anliegen des Datenschutzes an der Spitze des Hauses stand.

Jetzt nach dem Wechsel zu Frau Voßhoff entlassen Sie also das Haus in die institutionelle Unabhängigkeit. Aber das hat schon mehr als ein Gschmäckle: das Gehalt der Leiterin wird erhöht, was vielleicht noch begründbar ist. Aber die Mittel für das Haus, die dringend benötigt werden, um die Umstellung zur obersten Bundesbehörde zu bewerkstelligen, sind insgesamt mehr als knauserig, ja geradezu lächerlich im Verhältnis zu den Ausschüttungen, die der BND, das BfV und das BSI im Rahmen Ihrer Cybersicherheitsagenda erhalten sollen.

Es ist schlicht so: Nach dem Willen der Bundesregierung soll der digitale Wandel nichts mit Datenschutz zu tun haben. Sie gönnen damit der Institution, die wie kaum eine zweite dafür steht, die Rechte der Bürgerinnen und Bürger zu vertreten, keinen Sous mehr – das ist die bittere Wahrheit der Politik auch dieser großen Merkel-Koalition.

Die Frontstellung von Union, aber leider zunehmend auch der SPD gegen einen modernen Daten und Informationsschutz stellt einen fortgesetzten Angriff auf die mühsam erstrittenen Bürgerrechte in diesem Land dar. Das ist in der Sache so ignorant, dass es am Ende auf Sie zurückfallen wird, meine Damen und Herren.

Bereits jetzt entfalten sich in den Untersuchungsausschüssen zum internationalen Spähskandal, aber auch im BKA-Ausschuss die Folgen des Ausbremsens der Bundesdatenschutzbeauftragten auf dramatische Weise: Im Bundesnachrichtendienst hat man sich ganz offenbar eine Art Spezialdatenschutz für die Geheimdienste zusammenphantasiert, bei dem sich der zentrale erste Ring der Datenschutzkontrolle in Gestalt der behördlichen Datenschutzbeauftragten entweder unzuständig sieht oder mit ihrer Rechtsauffassung an der „operativen Energie“ ihres Chefs scheitert, dessen Rechtsmeinung allerdings eher am Rande des juristisch „Abwegigen“ verläuft.

Wir müssen uns deshalb schon fragen, ob am Ende nicht auch die knappen Ressourcen der für dieses Haus zuständigen Bundesbeauftragten mitursächlich sind für die völlig inakzeptablen, ja offene und gegenwärtig andauernde Rechtsbrüche beinhaltenden Zustände. Nichts anderes kann man aus dem BKA vermelden. Offenbar scheint es auch beim besten Willen nicht mehr möglich, die Abteilungen, Referate und Mitarbeiter so zu schulen, dass nicht gleich Listen mit Hunderten von Namen vermeintlicher Straftäter undifferenziert an Drittbehörden verschickt werden, oder interne Aktenbearbeitungssysteme grundlegende Datenschutzprinzipien vermissen lassen. Die Konsequenzen all dessen können nur lauten: Wir brauchen eine massive Aufstockung der Mittel der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Sie zeichnet ebenso für IT-Sicherheit zuständig wie etwa das BSI, denn bei allen Verarbeitungen mit Personenbezug leitet sie das relevante Prüfungsprogramm. Sie braucht mehr IT-Fachleute und weiterhin mehr Juristen, um ihre Arbeit effektiv zu verrichten. Im Bereich der Sicherheitsbehörden erscheint dies besonders drängend, und es ist eine Ohrfeige für die zurückliegenden Regierungen, dass das Bundesverfassungsgericht in das Urteil zur Antiterrordatei explizit reinschreiben musste, dass für eine vernünftige Ressourcenausstattung der beaufsichtigen Behörde zu sorgen sei.

Vollends dem Fass den Boden aus aber schlägt die in ihrem Gesetzentwurf vorgesehene Beschränkbarkeit der Aussagebefugnisse der Datenschutzbeauftragten. Die tatsächliche Perfidie dieses Vorschlags lässt sich an der aktuellen Lage im NSA-Untersuchungsausschuss ermessen. Was die Bundesregierung heute nicht könnte, würde mit Wirksamkeit dieses Gesetzentwurfes möglich: Eine Aussage des vom Ausschuss bereits als Zeugen beschlossenen ehemaligen Bundesbeauftragten zu seinem Wissen über den internationalen Spähskandal von BND, NSA und Co. müsste von der Genehmigung der Bundesregierung abhängig gemacht werden.

Vom Gutdünken der Regierung oder der Nachfolgerin im Amte soll also abhängig gemacht werden, ob dieses Parlament einen Vertreter einer der von ihm gewählten und eingesetzten Behörde hören kann. Ein Zeuge, der in Sachen BND beispielsweise wie kein anderer die Verstöße dieses Hauses sachkundig kommentieren kann, soll somit mundtot gemacht werden. Mehr Maulkorb geht nicht. Eine solche Ausschaltung von Stimmen, die einem nicht in den Kram passen, ist allenfalls aus autoritären politischen Systemen bekannt, und einer Demokratie und der Stellung einer tatsächlich unabhängigen Datenschutzaufsicht unwürdig.

Schließlich: Bis heute, wir fordern es immer wieder, kann die BfdI keine wirksamen Sanktionen gegenüber der TK-Industrie verhängen, hier läuft das bisherige Kontrollregime schlicht leer. Jedes Bundesland, jede Landesdatenschutzbehörde kann wirksamer gegen rechtswidrig agierende Unternehmen vorgehen, wenn diese sich nicht an das Gesetz halten. Die Möglichkeit auch der Drohung mit Bußgeldern und Verwaltungsanordnungen sind das Mindeste, wenn es in die Auseinandersetzung mit den Giganten der Branche geht. Wie soll sonst eine Gerademal90PersonenBehörde bestehen?

Für die Verweigerung dieser Instrumente Ihrerseits gibt es bis heute kein einziges überzeugendes Argument. Es geht dem Bundesinnenministerium hier offenbar allein um die Beschränkung einer aus ideologischen Motiven bekämpften Behörde und ein völlig falsch verstandenes Interesse am Schutz der TK-Wirtschaft.

Fazit: Eine längst überfällige Reform wird, wohlgemerkt erst jetzt und aus Rechtsgründen – gewissermaßen mit dem Rücken zur Wand und dazu auch noch handwerklich schlecht – umgesetzt. Insgesamt gibt es leider auch weiterhin keinerlei Einsicht in der Sache, sondern vielmehr eine Verbohrtheit bis zur letzten Patrone.

Sie haben am Anfang der Legislaturperiode angekündigt, den Daten und Verbraucherschutz zu einem Schwerpunkt machen zu wollen. Ihre jetzt vorgelegte Reform ist das genaue Gegenteil.

Eigentlich bedarf es, in der Sache ist das unbestritten, beim BfDI mehr Mittel, mehr Rechte und mehr Personal! Und was machen Sie? Ihre Bundesregierung feilt an einer eigentlich unabhängigen Institution wie an einem Bonsaibäumchen. Der digitalen Entwicklung in Deutschland verabreichen sie damit Gift.

Dass sie als Parlamentarier dieses Spiel mitspielen, ist, ich kann es nicht anders sagen, diesem Hohen Haus unwürdig.

Wie gesagt: Wir werden einen eigenen Antrag mit den notwendigen Korrekturen ihres fehlgehenden Ansatzes vorlegen. Kehren Sie um, noch ist es nicht zu spät.