54. Sitzung, 25.09.2014, TOP 18:

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden insgesamt rund 830 000 Personen in etwa 370 000 privaten Haushalten und Gemeinschaftsunterkünften stellvertretend für die gesamte Bevölkerung zu ihren Lebensbedingungen befragt.

Was so lapidar unter dem Stichwort Befragung läuft, entpuppt sich für die davon Betroffenen oft als ein mittlerer Alptraum: Endlose Fragebögen mit sehr fein granulierten Fragen zu nahezu allen Lebensbereichen, das Ganze bußgeldbewehrt. Die Datenschutzbehörden und auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages wissen davon ein Lied zu singen: Keinesfalls kann von einer allgemeinen Akzeptanz dieses Verfahrens in der Bevölkerung gesprochen werden, eine anhaltend hohe Zahl von Eingaben und Zuschriften der betroffenen Bürgerinnen und Bürger belegt dies.

Richtig ist: Die offiziellen Statistiken unserer Behörden sorgen für eine informierte Politik. Sie stellen deshalb ein wichtiges Merkmal rationaler und informierter Entscheidungsprozesse in Regierung wie im Parlament dar. Wir erwarten aber, dass diese Verfahren grundrechtsschonend und im Hinblick auf die erfassten Merkmale realitätsgerecht erfolgen.

Verfassungsrechtlich wie datenschutzrechtlich bleibt es dabei: Wir haben es mit durchaus grundrechtsintensiven Eingriffen zu tun, da die Befragung über eine Auskunftspflicht erzwungen wird und der Umfang der Erhebungen zu sehr weitgehenden Profilen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger führt.

Die Rechtfertigungsanforderungen sind deshalb hochzuhalten: Die strenge Zweckbindung des Statistikgeheimnisses schützt vor unbefugten Weitergaben und Zugriffen, die Datensätze verbleiben in ihrer primären Nutzbarkeit als primär anonymisierte Informationsquelle. Zusätzlich muss jedoch sichergestellt sein, dass der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beim laufenden Umbau des Verfahrens, wie wir es nun seit Jahren schon erleben, gleichbleibend ernsthaft angewandt wird.

Der vorliegende Entwurf enthält einmal mehr – diesmal EU-bedingt – den Ausbau der zu erhebenden Merkmale, und bei den sogenannten unterjährigen Befragungen sattelt er zusätzlich auf: Die Betroffenen sind nicht nur einmal jährlich, sondern mehrfach im Jahr zu Angaben bezüglich ihrer Arbeitsverhältnisse verpflichtet. Die gesetzlich vorgesehene Experimentierklausel soll sicherstellen, dass die Statistikbehörden nicht unvorbereitet in die demnächst verpflichtend zu realisierenden Erhebungsanforderungen gehen, das erscheint nachvollziehbar.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Ankündigung der Bundesregierung, diese Befragungen so weit wie möglich reduzieren und auch insgesamt weitere Entlastungen der Betroffenen bewirken zu wollen. Wir erwarten von den Statistikbehörden, dass sie das ihnen Mögliche tun, um sicherzustellen, dass das Verfahren des Mikrozensus nicht uferlos weiter aufgeblasen wird, weil dies am Ende womöglich wieder in eine grundsätzliche Auseinandersetzung zumindest über den obligatorischen Charakter dieses Verfahrens münden könnte.

Lassen Sie mich noch zu einem Sonderpunkt kommen, der zu unserer Linie der weiteren sachgerechten Durchführung von Mikrozensen steht. Wenn schon Mikrozensus, dann ohne selektive Brille:

In der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Fraktion zum Thema „Regenbogenfamilien in Deutschland“ gab die Bundesregierung zu, dass sie nichts von der Lebensrealität von Regenbogenfamilien weiß. Ihre einzigen Erkenntnisse basieren auf Erhebungen von 2006 und können daher nicht ernsthaft als aktuell und ausreichend bewertet werden.

Mit der vorliegenden Novelle bekommt der Bundestag nun die Chance, die immer wachsende Zahl von Regenbogenfamilien endlich auch in der Bevölkerungsstatistik zu berücksichtigen.

Bei Begründungen von Lebenspartnerschaften soll deshalb auch die Zahl der gemeinsamen Kinder der Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner übermittelt werden. Dies kann relevant sein, wenn Kinder vor der Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft im Ausland angenommen wurden.

Auch bei Kindergeburten soll nicht nur die Angabe übermittelt werden, ob die Eltern des Kindes miteinander verheiratet sind, sondern auch, ob einer bzw. beide der Eltern in einer bzw. zwei Lebenspartnerschaften leben.

Und schließlich sollen Gerichte nicht nur bei gerichtlichen Entscheidungen über Ehesachen den statistischen Ämtern der Länder unter anderem die Zahl der lebenden gemeinschaftlichen minderjährigen Kinder übermitteln. Auch bei Aufhebungen von Lebenspartnerschaften soll das entsprechend geschehen.

Nur so werden wir der familiären Realität gerecht und können zukünftig auch Familien, bei denen Kinder bei zwei gleichgeschlechtlichen Partnern leben, auf einer fundierten Basis in die Familienpolitik einbeziehen.