95. Sitzung, 20.03.2015, TOP 17:

Die Rede als Videomitschnitt können Sie hier anschauen

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das zentrale Thema der CeBIT in diesem Jahr ist die massive Gefährdung unserer digitalen Infrastruktur durch Massenausspähung und IT-Angriffe. Ohne Edward Snowden hätten wir heute nicht ansatzweise den Überblick über die tatsächliche Bedrohungslage.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

IT-Sicherheit war immer wichtig. Aber spätestens seit Stuxnet, Regin, dem Heartbleed Bug und dem überwachten Handy der Kanzlerin ist völlig klar: Im Bereich der IT-Sicherheit brennt in Deutschland die Hütte lichterloh. Ein zentrales Risikoszenario für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, für Kommunikation und Privatheit ist nicht nur die organisierte Kriminalität, es sind auch die sich verselbstständigenden Geheimdienste und ihnen gefällig zuarbeitende Unternehmen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das ist die Ausgangslage auch nach zehn Jahren Bundesinnenministerium unter CDU/CSU-Führung, meine Damen und Herren.

Jeder weiß: Wir brauchen einen verbesserten Grundrechtsschutz der Menschen und eine Erhöhung der IT-Sicherheit für Unternehmen und Behörden. Das sind zwei Themen, die man heute nicht mehr trennen kann. Und sosehr Ihr Ministerium, Herr de Maizière, in den letzten Jahren für die grundrechtsfeindliche Vorratsdatenspeicherung gekämpft hat, so wenig Substanzielles haben Sie im letzten Jahrzehnt für den Bereich der IT-Sicherheit vorzuweisen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Zur CeBIT 2015 legen Sie jetzt Ihren übereilten, unreifen Entwurf eines IT-Sicherheitsgesetzes vor, der völlig zu Recht von allen Seiten kritisiert wird. Weder bringt er mehr IT-Sicherheit für Deutschland, noch schafft er das notwendige Vertrauen in die Nutzung der Kommunikationsinfrastruktur unserer Zeit, das Internet. Wer IT-Strukturen schützen will, braucht zunächst eine differenzierte Einschätzung der Gefährdungslage; Kollege Korte hat es angesprochen. Diese haben Sie bis heute nicht vorgenommen.

(Gerold Reichenbach [SPD]: Das stimmt doch gar nicht!)

Es ist deshalb vielleicht konsequent, aber eben inhaltlich falsch, hier lediglich mit weitgehend unbestimmten Verfahrensregelungen um die Ecke zu kommen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie denken IT-Sicherheit eben nicht ganzheitlich, sondern stellen hier nur auf den Bereich kritischer Infrastrukturen ab. Selbst bei diesen Regelungen springen Sie zu kurz: Vor der eigenen behördlichen Haustüre wird nicht gekehrt,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

nur Unternehmen müssen nach Ihrem Gesetzentwurf Meldungen machen, Behörden aber nicht. Wie soll denn auf diese Weise das gewünschte Gesamtlagebild der IT‑Angriffe entstehen und analysiert werden? Das ist schlicht unschlüssig, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Es gibt weitere massive Unklarheiten und Widersprüche:

Niemand weiß derzeit, welche Unternehmen wegen kritischer Infrastruktur meldepflichtig werden und welche eben nicht. Sie wollen das später festlegen. Zu Recht will die Wirtschaft aber jetzt wissen, was auf sie zukommt.

Niemand weiß, was mit den beim BSI anlandenden Daten geschehen soll, also was das BSI mit den Daten anfängt und wem es diese Daten eventuell übermittelt. Schon alleine die Rechtssicherheit der Unternehmen erfordert hier eine klare gesetzliche Regelung, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Gerold Reichenbach [SPD]: Mit der Begründung können Sie jedes Umweltgesetz wegschießen!)

Und auch die Gelegenheit zur Harmonisierung, Herr Reichenbach, mit der auf EU-Ebene parallel in Verhandlung befindlichen Richtlinie genau zu diesem Thema warten Sie nicht ab, sondern Sie schaffen einen nicht abgestimmten deutschen Sonderweg. Der Minister lobt sich hier auch noch für dieses Vorgehen. Das ist aber angesichts der Internationalität des Internets und der grenzüberschreitenden Vernetzung von IT-Systemen ein schlicht abwegiger Ansatz, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er hat doch gesagt, es wird europaweit abgestimmt! Sie haben nicht zugehört!)

Schließlich schaffen Sie mit Ihrem rein reaktiven Gesetz überhaupt keine wirksamen proaktiven Anreize, um die Wirtschaft mitzunehmen. Weder gibt es positive Anreize, wie beispielsweise Privilegierungen für diejenigen, die aufgrund praktischer IT-Schutzmaßnahmen tatsächlich etwas vorzeigen können, noch wagen Sie es, den umgekehrten Weg zu gehen und beispielsweise durch steuernde Maßnahmen wie Haftungsregelungen mehr Sicherheit zu fördern. Der Entwurf zeigt hier leider ein halbgares Weder-noch, und er wird sein Ziel verfehlen. Das ist für das Jahr 2015, für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland und für einen sensiblen Bereich wie den der kritischen Infrastrukturen einfach skandalös wenig, meine Damen und Herren!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Netzwirtschaft und IT-Kommunikation brauchen vor allem Vertrauen in die Sicherheit der Infrastruktur. Diese Erkenntnis ist richtig. Doch statt endlich dafür zu sorgen, geht seit Jahren in Ihrer Verantwortung Vertrauen weiter verloren. Das liegt auch daran, dass Sie hier im Entwurf das dem Innenministerium unterworfene BSI ins Zentrum des Meldesystems stellen; dies hat der Kollege Korte ja angesprochen.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik ist eben nicht unabhängig, sondern abhängig von einem Innenministerium, das die Vorratsdatenspeicherung fordert, den Ankauf von Sicherheitslücken billigt, eine zumindest unklare Haltung zum Thema Verschlüsselung hat und ihm, also dem BSI, aufgibt, Bundestrojanersoftware zu basteln. Das kann so nicht weitergehen. Das BSI muss endlich in zentralen Aufgabenbereichen unabhängig werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Und diese Bundesregierung muss sich endlich effektiven inhaltlichen Maßnahmen für mehr IT-Sicherheit zuwenden. Die Vorschläge dafür liegen längst auf dem Tisch, und namhafte deutsche Staatsrechtler haben Ihnen die verfassungsrechtliche Verpflichtung des Gesetzgebers zum umfassenden Schutz unserer digitalen Infrastrukturen in einer denkwürdigen Anhörung im Ausschuss ins Stammbuch geschrieben: Wir brauchen eine Abkehr von der globalen Massenüberwachung und von weltweiten IT-Eingriffen durch Geheimdienste, auch durch deutsche.

Sie wollten doch Deutschland zum Verschlüsselungsland Nummer eins machen. Ja, dann sorgen Sie dafür, dass durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselungen endlich Standard werden!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Fördern Sie konsequent Open-Source-Technologien, und sorgen Sie dafür, dass zentrale Softwarekomponenten eine grundlegende Prüfung der Quellcodes durchlaufen, Herr de Maizière! Statt Blackboxsystemen brauchen wir inhaltlich geprüfte Sicherheit wenigstens in den zentralen Komponenten der Webinfrastruktur.

Und: Der Staat darf eben nicht, wie von Ihnen geplant, zum Hehler von Sicherheitslücken werden.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dieser Markt gehört international geächtet und nicht durch Staatsknete gefördert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Schließlich: Hören Sie endlich auf, die EU-Datenschutzrechtsreform weiter zu behindern und zu verwässern! Sie ist ein elementarer Baustein für die IT-Sicherheit.

Sie haben aus Ihrem Gesetzentwurf die Regelung zur „Vorratsdatenspeicherung durch die Hintertür“ nach massiver Kritik wieder herausgenommen. Aber wer bürgerrechtliche Einsicht dieser Großen Koalition erwartet hat, wird wieder einmal enttäuscht; denn Sie von Union und SPD haben gemeinsam und unbelehrbar die Vorratsdatenspeicherung durch die Vordertür des Bundestages nun wieder hereingetragen. Sigmar Gabriel hat sich in den letzten Tagen nicht nur als irrlichtender Vizekanzler gegen Bürgerrechte einen Namen gemacht –

Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

– ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin –, er hat nicht nur die Glaubwürdigkeit seines eigenen Ministerkollegen beschädigt, er hat als Wirtschaftsminister offenbar auch nicht verstanden, welchen fundamentalen Stellenwert Vertrauen in die digitale Welt heute hat – Vertrauen, das Ihr ungenügender Gesetzentwurf leider nicht wiederherzustellen vermag. Das ist ungenügend.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)