Die Grünen im Bundestag haben gegen das Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung gestimmt und werden Klage in Karlsruhe einreichen, sagt Konstantin von Notz. Die Vorratsdatenspeicherung ist Gift für unsere Demokratie und unsere Wirtschaft.

Konstantins Rede (131. Sitzung vom 16.10.2015, TOP 5) könnt Ihr hier anschauen: dbtg.tv/fvid/5978379

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage der Vorratsdatenspeicherung, über die wir seit Jahren hier diskutieren, ist die Kernfrage der Bürgerrechte in unserer digitalisierten Welt. Die Massenspeicherung der Kommunikations- und Bewegungsdaten aller Bürgerinnen und Bürger in Deutschland auf Vorrat stellt einen rechtsdogmatischen Dammbruch par excellence dar.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Deswegen gehört er auf den Müllhaufen der Geschichte und nicht wieder hier ins Parlament.

Herr Maas, wirklich: Sie halten hier diese lapidare Rede und sagen, das, was dazu veröffentlicht worden ist, sei alles komisch. Sie sprechen nicht den EuGH und nicht das Bundesverfassungsgericht an.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Natürlich!)

Ich lese Ihnen einmal Ihre eigene Veröffentlichung vor. Sie haben, Gott sei Dank, bei Twitter mal was Richtiges gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung lehne ich entschieden ab. Sie verstößt gegen das Recht auf Privatheit und Datenschutz. Kein deutsches Gesetz und keine EU-Richtlinie!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Das war Ihre Aussage, und die war richtig. Und jetzt erzählen Sie hier lapidar das Gegenteil. Ich sage Ihnen: Das ist schlecht für Sie. Das bricht Ihnen das Rückgrat, aber auch Ihrem Haus, das jahrelang gegen dieses Instrument gearbeitet hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die sind alle entgeistert jetzt!)

Das haben Sie an das Bundesinnenministerium verkauft, und das ist das Letzte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Als wir das letzte Mal hier darüber diskutiert haben, haben Sie gesagt: Das muss umgesetzt werden; das ist ein schwieriges Gesetz, aber das müssen wir machen; denn es gibt diese EU-Richtlinie. – Jetzt stehen wir hier, nachdem zwei höchste Gerichte gesagt haben: „Das ist verfassungswidrig“, und jetzt sagen Sie: Es gibt keine EU-Richtlinie; deswegen muss das umgesetzt werden. – Ihnen ist jedes Argument recht. Aber das ist eben unseriös.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Vorratsdatenspeicherung ist nicht nur Gift für unsere Demokratie; sie ist auch Gift für unsere Wirtschaft. Laut Bundesnetzagentur sind circa 3 000 kleine Anbieter betroffen. Die genauen Kosten sind unabsehbar, liegen bei den Kleinstanbietern pro Betrieb aber bei über 100 000 Euro. Das heißt, Sie machen auch noch die Kleinstanbieter platt. Das, was Sigmar Gabriel im Wirtschaftsministerium gegen die Megagiganten aus den USA versucht hochzuziehen – für mehr Wettbewerb –, das reißen Sie mit dem Hintern wieder ein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber auf Anweisung von Gabriel!)

Das geht alles überhaupt nicht. Da hilft Ihnen auch kein IT-Gipfel.

Zur Datenhehlerei. Das ist doch wirklich unfassbar: Vor wenigen Wochen hatten wir – unter Ihrer fröhlichen und traurigen Beteiligung, Herr Maas – den Landesverratsskandal, und jetzt bringen Sie hier einen Gesetzentwurf ein, mit dem Whistleblower in einen – so sage ich jetzt einmal – Graubereich gestellt werden. Sie versuchen, die Journalistinnen und Journalisten auszunehmen, in § 202 d StGB-E ist der Straftatbestand aber unzureichend klar formuliert. Nur ein Beispiel: In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs steht, dass bei der Schädigung ein immaterieller Nachteil – beispielsweise beim Datenhandel „zum Zwecke der öffentlichen Bloßstellung im Internet“ – genügen soll. Na, herzlichen Dank! Das heißt, auch bei der Kohl-Spendenaffäre wäre durch die öffentliche Bloßstellung ein immaterieller Nachteil eingetreten. Schon in diesem Bereich kriminalisieren Sie. Das geht nicht, und das lehnen wir ab.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Das schadet dem, was wir brauchen. Wir brauchen einen Whistleblowerschutz. Unklare Strafgesetze sind gefährlich. Sie schaffen die dem Gesetzgeber zuzurechnende Gefahr von Ermittlungen gegen Journalisten und Whistleblower und – das ist wahrscheinlich – von Fehlurteilen. Diese Einschüchterung, die zwangsläufig – so ist es ja von der Union auch gemeint – zu Chilling Effects führt, und zwar dadurch, dass sich Leute nicht mehr trauen, Informationen weiterzugeben, ist genau das Gegenteil von dem, was wir heute brauchen, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zum Schluss ein Wort zu der Sozialdemokratie.

(Dr. Eva Högl [SPD]: Ein Wort zur Sozialdemokratie! – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Gerne! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ach! – Oh Gott!)

– Ja, ja; jetzt wird es traurig.

(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der CDU/CSU)

– Da lacht sogar die Union. – Herr Oppermann hat nach Snowden – da war ja Wahlkampf und so – gesagt: Die Vorratsdatenspeicherung muss die Sozialdemokratie gänzlich neu bewerten. – Gänzlich neu bewerten!

(Sabine Weiss (Wesel I) [CDU/CSU]: Hat sie ja getan! – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss die Sozialdemokratie selbst jetzt gänzlich neu bewerten!)

– Ja, genau.

Er sagte auch, die SPD wolle – jetzt wird es noch fröhlicher – die neue Bürgerrechts- und Internetpartei werden. Dass ich nicht lache! Dann hat Sigmar Gabriel aus reinstem politischem Opportunismus

(Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: So was macht der nie! Opportunismus kennt der gar nicht!)

die ganze Überlegung, man müsse mehr für die Bürgerrechte machen, zulasten seines Ministers abgeräumt.

(Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Ach was! Das geht ja gar nicht!)

Das zeigt, wie hoch der Stellenwert dieses Themas bei Ihnen ist. Auf Sie ist beim Thema Bürgerrechte kein Verlass. Das ist wirklich hochbedauerlich, vor allen Dingen, nachdem Sie schon das letzte Mal mit den gleichen Argumenten angetreten sind und von zwei höchsten Gerichten korrigiert werden mussten. Wenn man den Freiheitsrechten der Menschen und der Verfassung zu Leibe rückt, wie Sie es tun, wie es die GroKo jetzt tut, dann hat man schon verloren, wenn einem offenbar jedes Argument recht ist. Deswegen sage ich Ihnen hier heute: Wir werden gegen dieses Gesetz klagen – da haben wir gute Chancen –, und wir werden versuchen, es auf diesem Wege zu verhindern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wer es mit der Großen Koalition gut meint, der kann sagen: Das letzte Mal ist Ihnen das so durchgerutscht. Oder: Das war grob fahrlässig, meine Damen und Herren. – Diesmal aber gehen Sie vorsätzlich gegen das Grundgesetz vor. Dagegen werden wir uns wehren.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)