Die Netzneutralität ist entscheidend für starke Verbraucherrechte und Innovation im Internet, daher gehört sie gesetzlich festgeschrieben – sonst droht ein Zwei-Klassen-Netz. Konstantins Rede (136. Sitzung vom 12.11.2015, TOP 18) könnt Ihr hier anschauen: dbtg.tv/fvid/6144569

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Durz, Sie haben ganz viel von 5G und allen möglichen Dingen erzählt. Es geht aber in dieser Debatte darum, ob der Zugang zum Netz bzw. zum Wissen vom Portemonnaie der Leute abhängt. Das ist die Kernfrage. Daran haben Sie sauber vorbeigeredet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zehn Minuten! Das muss man erst mal schaffen!)

Die Netzneutralität ist eine der wichtigsten Fragen oder vielleicht sogar die wichtigste Frage des Internets, der digitalen Welt von morgen. Wir diskutieren das in diesem Haus schon lange; da haben Sie völlig recht. Früher haben Sie noch zusammen mit der FDP zu unseren Anträgen zur gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität immer gesagt: Macht euch keine Sorgen! Das müssen wir nicht machen. Sobald sie gefährdet ist, machen wir ein Gesetz.

Nun ist sie gefährdet. Nachdem Sie am Anfang der Wahlperiode großzügig angekündigt haben, den digitalen Verbraucherschutz zum Schwerpunkt Ihrer Politik zu machen, sind die Zeiten, als die Große Koalition, die Regierung Merkel oder auch die SPD die Netzneutralität retten wollten, ein für alle Mal vorbei. Das muss man hier einmal festhalten, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

Herr Ilgen, mit Ihrer Aussage „Da muss man mal gucken“ kommt man nicht weiter. Wenn man nur guckt, dann geschieht das, was jetzt passiert, und das ist schlecht: Sie verramschen die Netzneutralität über den Umweg Europa. Das verbrämen Sie hier heute Abend mit der Aussage, unser Antrag komme Ihnen unpassend. Das glaube ich gern. Aber um die Netzneutralität zu retten, versuchen wir einfach alles. Was Sie hier versuchen, ist peinlich. Sie reden das Problem nämlich klein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Unfug!)

Mit einer Sache hatten Sie recht, Herr Durz: Die Netzneutralität wurde am 27. Oktober in einem durchsichtigen Deal auf EU-Ebene verramscht. Was machen Sie hier heute allen Ernstes? Sie erzählen, dass es sich hier um den ersten Gesetzentwurf handelt, der die Netzneutralität sichert. Allen Ernstes ein guter Kompromiss, Herr Durz? Ich sage Ihnen: Die Menschen sind nicht dumm. Sie verstehen, dass ein Gesetz, das es den großen TK-Anbietern explizit ermöglicht, Überholspuren im Internet, Diensteklassen und Special Services einzuführen, eben kein Gesetz zur Sicherung der Netzneutralität ist, sondern das Gegenteil, ein Freibrief, der das Tor zu einem Zweiklasseninternet öffnet. Das braucht kein Mensch.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Was wir brauchen, sind starke Verbraucherrechte und ein Internet, das Informationszugang sichert und Innovationen ermöglicht, statt ohnehin marktmächtige Player weiter zu stärken, wie Sie das tun. Es ist doch offensichtlich: Gerade angesichts immer vorgeschobener Kapazitätsengpässe – als Beispiel nenne ich die Onlineoperation; Herr Durz, sobald Sie sich online im normalen Internet operieren lassen, mache ich das auch – kann eine Priorisierung bestimmter Daten rein sinnlogisch eben nicht ohne die gleichzeitig Diskriminierung anderer Daten einhergehen. Wie sollte es auch anders sein? Immer wenn man bestimmte Daten priorisiert, diskriminiert man andere Daten. Es hat nur einen Tag gebraucht, da hat die Telekom gezeigt, was man plant, nämlich all diejenigen zur Kasse zu bitten, bei denen man es kann. Nun stellen Sie sich hier hin, tun ganz entsetzt und überrascht und ermahnen die Telekom. Das ist bigott.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: So ein Quatsch!)

Die SPD-Expertin im Europäischen Parlament Petra Kammerevert hat das erkannt. Sie attestiert dem jetzigen Kompromiss Rechtsunklarheit gleich an mehreren Stellen – zu Recht! Sie sagt, der verabschiedete Text ermögliche ein Blockieren des Datenverkehrs. Auch Spezialdienste sind nach dem vorliegenden Text explizit zulässig. Schließlich wird auch das Zero-Rating ermöglicht, das absehbar zu einer weiteren ganz erheblichen Marktkonzentration führt. Das bedeutet die völlige Aufweichung der Netzneutralität. Deswegen haben 22 von 23 deutschen SPD-Abgeordneten im Europäischen Parlament gegen den Entwurf gestimmt, den Sie hier verteidigen; das war konsequent. Dieser Kompromiss, der den großen US-Unternehmen durch Zero-Rating-Verträge in die Hände spielt, hilft uns nicht weiter.

Wir haben immer gewarnt, nicht so lange abzuwarten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist. Nun liegt es im Brunnen. Uns bleibt allerdings eine allerletzte Chance – das klang eben an –: In den nächsten Monaten können Sie gemeinsam mit den nationalen Regulierungsbehörden, die die Einhaltung der Netzneutralität und der Regeln für Verkehrsmanagement überwachen sollen, technische Qualitätskriterien festlegen. Zeigen Sie wenigstens hier, dass Ihnen eines der grundlegendsten Prinzipien eines offenen, demokratischen und innovationsfreundlichen Netzes nicht völlig egal ist. Hierzu fordert Sie unser Antrag noch einmal auf.

Ganz herzlichen Dank.