So trocken das Thema klingt – in Zeiten von Massenüberwachung durch Geheimdienste und Big-Data-Geschäften der Datenwirtschaft betrifft uns die Bundesstatistik alle.

Konstantins Rede vom 25. Februar könnt Ihr hier anschauen und nachlesen (158. Sitzung vom 25.02.2016, TOP 13):

 

Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren auf der Tribüne, Sie haben sich vielleicht vor langer Zeit um eine Karte für die Besuchertribüne im Deutschen Bundestag beworben,

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und jetzt das!)

und jetzt sind Sie ausgerechnet bei der Debatte zum Bundesstatistikgesetz gelandet. Das klingt erst einmal langweilig, aber es ist tatsächlich ein interessantes Thema. Denn es geht uns alle an. Wir alle sind davon betroffen. Insofern ist dies eine gute Debatte.

Das Bevölkerungsstatistikgesetz stellt die rechtliche Grundlage für die Erhebungen der Bundesstatistik dar, die Auskünfte über die Veränderungen in Zahl und Zusammensetzung der Bevölkerung gibt, von uns allen also. Klar ist: Derartige Erhebungen stellen eine wichtige Grundlage zielgerichteten staatlichen Handelns dar. Klar ist aber auch: Gerade in Zeiten von geheimdienstlichen Massenüberwachungsansätzen und Big-Data-Geschäftsmodellen müssen sie auf das tatsächlich Notwendige beschränkt sein, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

An der Frage der Statistik entscheiden sich zentrale Fragen der Zukunft der digitalen Informations- und Wissensgesellschaft. Die mächtigen Treiber des Statistikwesens sind heute vor allem die großen Player des Silicon Valley; Mark Zuckerberg ist ja gerade in Berlin. Sie durchforsten bestehende Datenheuhaufen nach geringsten Abweichungen von statistisch errechnetem Normalverhalten. Das tun sie leider viel zu oft außerhalb jeglicher Gemeinwohlorientierung, fernab einer funktionierenden Aufsicht und bisher rechtlich weitgehend unreguliert. Die auf diesem Weg gewonnenen Profile sind nicht nur höchst aussagekräftig, für datenverarbeitende Konzerne stellen sie eine genauso lukrative Einnahmequelle dar, wie sie für das Individuum eine erhebliche Gefahr für dessen informationelle Selbstbestimmung sind. Das wurde hier schon angesprochen.

Das Spannungsfeld zwischen in der Sache berechtigten modernen statistischen Erhebungsverfahren und dem notwendigen Schutz der persönlichen Informationen der Bürgerinnen und Bürger ist offenkundig. Gerade in der durchdigitalisierten Welt ist es Aufgabe des Gesetzgebers, sicherzustellen, dass die Errungenschaften moderner Erhebungsverfahren bestmöglich genutzt werden, gleichzeitig aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung unbedingt erhalten bleibt, meine Damen und Herren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nachdenklich stimmen uns Aussagen des neuen Chefs des Bundesamtes für Statistik, der unter anderem Big Data als wichtiges Aufgabenfeld seiner Behörde ausgemacht hat. Ist das wirklich der richtige Ansatz, sich ausgerechnet diejenigen als Beispiel zu nehmen, die mit oftmals höchst fragwürdigen Praktiken das Ziel verfolgen, unsere noch so privaten Lebensbereiche statistisch berechenbar und kommerziell verwertbar zu machen? Wir sagen: Nein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Solange es noch keine funktionierenden Mechanismen zur nicht wieder umkehrbaren Anonymisierung der Daten gibt, sind wir sehr gut beraten, hier deutliche Zurückhaltung an den Tag zu legen. Neben der Beschränkung auf die tatsächlich absolut notwendigen Informationen brauchen wir nachvollziehbare, transparente Abläufe und Verfahren, die Sicherstellung der Richtigkeit der Informationen und die zeitgemäße Absicherung des Statistikgeheimnisses.

Der vorliegende Entwurf zeigt hier und da jedoch genau in die entgegengesetzte Richtung. Er enthält eine Reihe von Verschiebungen der Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten in Richtung des Bundesamtes. Hier verweise ich auf die Ausführungen des Bundesrates. Wir erwarten eine sachorientierte Debatte, an welcher Stelle wir eine Zentralisierung wollen, aber wo eben auch nicht.

Der Entwurf enthält zudem eine ganze Reihe von relevanten Grundrechtseingriffen, zumindest in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die nicht allein auf Rechtmäßigkeit hin zu diskutieren sind, sondern auch hinsichtlich der Frage, ob sie datenschutzpolitisch in die richtige Richtung gehen. Auch da kann man durchaus Zweifel haben.

Wir erwarten daher auch hier eine auf der Grundlage der jüngst verabschiedeten Datenschutzverordnung geführte Diskussion, eine Erläuterung und Änderung des Gesetzentwurfs. Gerade in diesen Zeiten müssen wir dem Persönlichkeits- und Privatheitsschutz endlich die Bedeutung beimessen, die ihm angesichts immer neuer Datenerhebungs- und ‑auswertungsmöglichkeiten in Rechtsstaaten zukommen muss.

Statt grundlegende Errungenschaften des Datenschutzes und damit den Kernbereich unserer verfassungsrechtlichen Identität infrage zu stellen, wie es derzeit leider das Bundesinnenministerium und neuerdings – man kann es kaum fassen – auch Peter Altmaier tut – ob es nun im Namen der Terrorbekämpfung oder im Namen fragwürdiger Geschäftsmodelle des Silicon Valley ist –, müssen wir das Ziel verfolgen, bestehende Schutzmechanismen auszubauen und innovativ weiterzuentwickeln. Das muss dieses Parlament hier leisten. Wir stehen für konstruktive Debatten zur Verfügung.

Ganz herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)