Flucht, Asyl, Integration, das ist eine große Bandbreite an ganz unterschiedlichen, aber miteinander verknüpften Fragen, die von weltweiten und europäischen Entwicklungen bis zum konkreten Zusammenleben hier vor Ort in Schleswig-Holstein reicht – aber gerade deswegen zusammengedacht und diskutiert werden sollte.

Rund 90 Besucher kamen am 10. Februar 2016 ins Ganztagszentrum, um die unterschiedlichen, sich oft aber erstaunlich ergänzenden Perspektiven der Podiumsgäste anzuhören und anschließend ebenso engagiert und kritisch wie konstruktiv und sachlich mitzureden. Als Stormarner Wahlkreisabgeordneter moderierte ich die Diskussion mit einem sehr zahlreichen und aktiven Publikum sowie einem ehrenamtlichen Seenothelfer, einer Kieler Bundestagsabgeordneten und einem designierten Landrat auf dem Podium.

Ingo Werth stellte die humanitäre Seenotrettung von Seawatch mit einem eindrücklichen Film und in bewegenden Worten vor: Ehrenamtliche Helfer nehmen angesichts der erschreckenden Zustände die Dinge selbst in die Hand und retten schiffbrüchige Flüchtlinge kurz vor der Küste Libyens und der Türkei. Denn die staatlichen Missionen von Frontex und den EU-Ländern sind hier viel zu selten und zu spät präsent. „Das ist ein Skandal, zumal wenn Ursula van der Leyen davon spricht, Seenotrettung hätte immer höchste Priorität. Dann sollte einfach ein großes Kriegsschiff nah an die lybische Küste fahren und die hunderte von Menschen aufnehmen. So müssen wir als Laien und mit wenig Mitteln auf einem alten Fischkutter die völlig erschöpften Menschen vor dem Ertrinken retten, erstversorgen und warten, bis oft erst nach Stunden die staatlichen Schiffe kommen – dabei wäre Seenotrettung deren allererste Aufgabe“, kritisierte der Reinbeker, der sonst eine KfZ-Werkstatt betreibt.

Ähnliche Eindrücke schilderte die flüchtlingspolitische Sprecherin der grünen Bundestagsfraktion Luise Amtsberg von ihrer Reise nach Lesbos. Die Seenotrettung, Erstaufnahme und Verteilung der ankommenden Flüchtlinge verläuft im Kompetenzwirrwarr zwischen Griechenland und EU zu chaotisch, so dass sich „eine ambivalente Infrastruktur aus Helfern gebildet hat: Anwohner, NGOs und Ehrenamtliche. So beeindruckend dieses riesige und dringend nötige Engagement auch ist, das quasi automatisierte Retten bleibt zwiespältig, solange die staatlichen Akteure vor Ort versagen und auf nationaler und europäischer Ebene sich immer mehr auf Symbolpolitik und Aktionismus zurückziehen. Denn wer hier war, weiß, dass alles Gerede von Obergrenzen und sicheren Herkunftsstaaten mit den menschenrechtlichen und humanitären Missständen vor Ort unvereinbar ist. Eine sichere Außengrenze bleibt eine Illusion, solange die Krisen- und Konfliktursachen in den Herkunftsländern ungelöst sind und Menschen alles daran setzen, zu fliehen. Natürlich sind die Probleme immens, aber gerade in dieser Situation helfen populistische Versprechen kein bisschen weiter“, betonte die Parlamentarierin aus Kiel.

Solchen Instrumentalisierungen setzt der Bargteheider Bürgermeister und designierte Landrat Henning Görtz kommunalpolitischen Pragmatismus entgegen: „Statt nur zu meckern haben wir als Gemeinde die Dinge selbst in die Hand genommen und sind den Dreiklang ‚Willkommen heißen – Unterbringen – Intergieren‘ mit einer sehr engagierten Verwaltung und einem lebendigen Helferkreis angegangen.“ Gute, dezentrale Wohnungen, persönliche Ansprechpartner und schnelle Sprachkurse seien die wichtigsten Schritte zu einem guten Ankommen. Hier helfen Ehrenämtler und Spendengelder auch einmal den staatlichen Strukturen aus, z.B. mit selbstorganisierten Deutschstunden, wenn noch kein Rechtsanspruch auf Sprach- und Integrationskurse besteht. Und genauso wichtig ist auch eine aktive Öffentlichkeitsarbeit: Gegen Nörgler und Gerüchte helfen am besten konkrete Beispiele, wie diese Aufgabe gelingt. Da sollten wir auch selbstbewusst und zuversichtlich sagen, was alles klappt“, so Henning Görtz.

Im Anschluss diskutierten Podium und Publikum engagiert vor allem über die Fluchtursachen: ein ungerechter Welthandel und eine globalisierte Agrar- und Fischereiindustrie, die die lokalen Ressourcen ausbeutet und örtliche Bauern, Fischer und Händler ruiniert. „Ungerechtigkeit schafft Armut schafft Hunger schafft Konflikte schafft Flucht – dagegen haben wir schon lange Konzepte für global nachhaltiges Wirtschaften und Handeln, aber auch eine vorausschauende Außenpolitik der Konfliktprävention und gestärkten Zivilgesellschaften gesetzt, doch dafür müssen wir nicht nur in den Krisenregionen, sondern auch beim eigenen Konsum anfangen“ fasste Luise Amtsberg die Fragen nach den langfristigen Ursachen und Antworten für präventive Lösungen zusammen.

Für mich hat dieser offene Austausch deutlich gemacht: Wir schaffen es, wenn wir auf die hochkomplexen Probleme und unumgänglichen Realitäten um unseren Kontinent herum mit klarem Blick schauen und dann nach wirklich sinnvollen Lösungen suchen. Mit klaren Werten auf Basis unseres Grundgesetzes vor dem Hintergrund unserer deutschen Geschichte ebenso wie mit pragmatischer Alltagstauglichkeit und handfester Zuversicht. Unsere gewachsene Verfassungskultur und ein starker Rechtsstaat sind die besten Garanten für ein friedliches, gleichberechtigtes Zusammenleben aller unabhängig von Herkunft oder Religion. Die beispielhafte Willkommens- und Integrationsarbeit in Bargteheide zeigt doch: Wenn eine so improvisationstüchtige Verwaltung und eine so lebendige Zivilgesellschaft Hand in Hand anpacken, dann kann nicht von einem Staatsversagen orakelt, sondern dann dürfen wir von einem funktionierenden Staatswesen in einer offenen Gesellschaft sprechen!