An dieser Stelle dokumentieren wir meine Rede, die ich im Zuge der Beratung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung zu Protokoll (pdf, S. 217 ff) gegeben habe:
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,die für Regierungen als auch für vernünftige parlamentarische Betrachtungen der Wirklichkeit so grundlegende und wichtige Arbeit der Statistikbehörden unterliegt, neben zahlreichen anderen Vorgaben, besonderen datenschutzrechtlichen Anforderungen.
Mit dem Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts aus den 80er‑Jahren zum damaligen Zensusgesetz begann ein Prozess der Vergesetzlichung auch der amtlichen Statistik. Denn, so hielt es das Gericht damals fest, auch die für rein statistische Zwecke erhobenen, aber auf personenbeziehbare Daten basierenden Bestände werfen Risiken für die informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger auf, denen der Gesetzgeber mit effektiven Schutzregelungen begegnen muss.
Der heute hier zur Abstimmung gestellte Entwurf des Bundesstatistikgesetzes erweitert und vertieft die Möglichkeiten bundesdeutscher Statistikbehörden, insbesondere aber des Bundesamtes für Statistik, Informationen und Daten der Bürgerinnen und Bürger zu erfassen und auszuwerten. So sind die verstärkte gegenseitige Nutzung von Datenbeständen zwischen den Behörden sowie die Schaffung einer dauerhaften Rechtsgrundlage für ein adressgenaues Anschriften- und Gebäuderegister für die gesamte Bundesrepublik, betrieben unter der Federführung des Bundesamtes, beispielhaft zu nennen.
Wir haben, anders als die Bundesbeauftragte für den Datenschutz, welche dem Innenausschuss freundlicherweise ihre Stellungnahme zum Gesetzentwurf, dessen grundsätzliche Intention wir wie ausgeführt teilen, hat zukommen lassen, Bedenken, ob dieses geplante Register die Schwelle der datenschutzrechtlich notwendigen hinreichenden Erforderlichkeit tatsächlich erreicht.
Immerhin wird eine umfangreiche bundesweite Bestände aufweisende Datenbank dauerhaft angelegt, mit der PLZ, Gemeinde, Straße und Hausnummer, eine Ordnungsnummer, die Anzahl der Personen pro Haushalt, die Wohnraumeigenschaft, mit der Möglichkeit der Zuspeicherung von Daten aus Registern (aus Land und Bund) und allgemein zugänglichen Quellen, erfasst werden.
Wir hatten solche Erfassungsmöglichkeiten bislang nur temporär, aus Anlass eines Zensus, eröffnet. Dass wir allein für Stichprobenerhebungen der Statistikbehörden zu den unterschiedlichsten Zwecken nun eine dauerhafte Speicherung brauchen, das scheint weder zwingend noch scheint es dem Grundsatz der Datensparsamkeit Rechnung zu tragen.
Richtig ist zwar, dass die Daten bereits dadurch geschützt sind, dass sie der strengen statistischen Geheimhaltung nach § 16 BStatG unterliegen und an Stellen außerhalb der Statistik nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen und in anonymisierter Form übermittelt werden dürfen. Mit der Durchführung von Bundesstatistiken sind ausschließlich Amtsträger und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes betraut, die bei der Aufnahme ihrer Tätigkeit auf die Einhaltung des Statistikgeheimnisses besonders verpflichtet wurden. Verstöße gegen die statistische Geheimhaltung werden strafrechtlich verfolgt und können mit Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren geahndet werden. Als statistikspezifische Ergänzung der Strafvorschriften der §§ 203 ff. StGB ist außerdem eine Zusammenführung von Einzelangaben aus Bundesstatistiken oder solcher Einzelangaben mit anderen Angaben zum Zwecke der Herstellung eines Personen-, Unternehmens-, Betriebs- oder Arbeitsstättenbezugs außerhalb der Aufgabenstellung des BStatG oder der eine Bundesstatistik anordnenden Rechtsvorschrift untersagt (Verbot der Reidentifizierung gemäß §§ 21, 22 BStatG). Gleichwohl muss es auch für die – zunächst intern blei benden – Informationen der Bürgerinnen und Bürger in den Statistikbehörden bei der Einhaltung aller zentralen Grundsätze des Datenschutzes bleiben. Eine strafrechtliche Bewehrung von Verstößen kann das Fehlen der Einhaltung anderer Bestimmungen nicht ohne Weiteres kompensieren.
Wir verstehen, dass im Zeitalter von Big Data auch die Statistikbehörden nicht ins Hintertreffen geraten wollen. Und vielleicht ist dies ja eine zwingende Entwicklung: Auch die staatlichen Stellen müssen – Stichwort E‑Government – eine Modernisierung ihrer Informations- und Verwaltungsinfrastrukturen erbringen, die eine der zentralen Herausforderungen der kommenden Jahre und Jahrzehnte darstellt. Gerade die Statistik wird heute mehr mit Unternehmen wie Google oder Facebook assoziiert, auch wenn wir wenig über deren Berechnungsmethoden und Algorithmen im Einzelnen sagen können, weil sie unter dem Schirm der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verwahrt bleiben, obwohl deren Wirkungen heute ganze Gesellschaften betreffen.Es ist also nur verständlich, dass unsere Statistikbehörden hier nachrüsten wollen.
Doch wir sollten aufpassen, von Beginn nicht auf das falsche Gleis zu kommen. Die Bundesverwaltung kann und muss mit besonderem Beispiel vorangehen, wenn es um die Wahrung von Allgemeinwohlbelangen und die Gewährleistung der Rechte der Bürgerinnen und Bürger im Zuge der Digitalisierung geht. Dies gilt auch für die im Rahmen dieses Verfahrens umstrittene Frage der Speicherung von Wirtschaftsstatistikdaten unter einheitlichen Ordnungsmerkmalen.
Zunächst gilt: Auch wir begrüßen die Möglichkeit der Zusammenführung von Wirtschaftsstatistikdaten für wissenschaftliche Zwecke. Die Regelung der Vergangenheit sah allerdings eine bis zu 30‑jährige zulässige Speicherfrist vor, und zwar mit der Maßgabe, dass die zu Zwecken der Wirtschaftsstatistik in unterschiedlichen Datenbanken erfassten Daten mit einheitlichen Ordnungsnummern abgespeichert werden. Der Bundesgesetzgeber hat dieser besonderen Risikolage für Betroffene mit einer Gesetzesänderung Rechnung tragen wollen, indem er die in § 13 a BstatG festgelegte Speicherfrist auf zehn Jahre reduzieren wollte. Diese datenschutzrechtlich positive Änderung – wir können das vom Bundesministerium des Innern nicht häufig sagen – begrüßen wir.
Leider hat die Große Koalition eine Rolle rückwärts angetreten und zielt mit ihrem Änderungsantrag auf die Beibehaltung der 30‑Jahre-Frist.Die BfDI hat dazu ihre Stellungnahme vorgelegt; sie zitiert dazu neuere Rechtsprechung insbesondere des VGH Mannheim, wonach die gleichzeitige Speicherung einheitlicher Kennnummern bei Einzelunternehmern, zum Beispiel Rechtsanwälten oder Steuerberatern, in verschiedenen Statistikregistern eine Zusammenführung unterschiedlicher Informationen zu Einzelunternehmern erlaube, die so nicht mehr mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar seien. Wer die zum Teil äußerst feingranulierten Erhebungen der Statistikbehörden in diesem Bereich der Wirtschaftsstatistik kennt, kann nachvollziehen, worin hier die Probleme bestehen. So können etwa die monatlichen Einkünfte eines einzelnen Rechtsanwaltes über den gesamten Erfassungszeitraum von 30 Jahren, in Zusammenschau mit weiteren Informationen zu seiner Kanzlei, bei den Statistikbehörden hinterlegt sein. Und diese Datenbestände müssen wir uns vor dem Hintergrund einer zunehmend vernetzten Datenverarbeitung dieser Behörden mitsamt den gegenseitigen Zugriffsbefugnissen vorstellen.
Wir teilen deshalb die Auffassung der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, dass der Änderungsantrag der Großen Koalition in diesem Punkt zu weit geht und lehnen die Beibehaltung der überlangen Speicherfrist angesichts der einheitlichen Ordnungsmerkmale und der damit verbundenen Datenschutzrisiken ab. Die Aussagekraft von Wirtschaftsstatistiken an sich wird von einer dementsprechend verkürzten Speicherfrist nicht erheblich beeinträchtigt.
Im Gesamturteil können wir deshalb diesem Gesetzentwurf, der in einiger Hinsicht auch die Umsetzung notwendiger EU-rechtlicher Vorgaben sowie nachvollziehbare Verbesserungen der Stellung des Bundesamtes beinhaltet, nicht zustimmen. Unsere Enthaltung mag hinlänglich zum Ausdruck bringen, welche Komplexität die Bewertung der Gemengelage aus unterschiedlichen Zielen aufweist, die mit Statistikgesetzgebung einhergehen.
Umso wichtiger erscheint uns, dass für diesen Bereich im parlamentarischen Verfahren zukünftig versucht wird, von vornherein der Komplexität der zu regelnden Verfahren und aufgeworfenen Fragen dadurch Rechnung zu tragen, dass die Möglichkeiten der gemeinsamen vorherigen fachlichen Befassung ausgeschöpft werden. Die Perspektive von Big Data in den Statistikbehörden sollte uns dazu veranlassen, zukünftig dieser Frage besondere Aufmerksamkeit zu widmen.