BND-Chef Gerhard Schindler ist Ende April vom Bundeskanzleramt geschasst worden. Nach immer neuen Enthüllungen über eine rechtswidrige Massenüberwachung gab es dafür viele triftige Anlässe. Wiederholt hatten wir daher personelle, vor allem aber auch strukturelle Konsequenzen gefordert. Nachdem die Bundesregierung ihren Geheimdienst jedoch jahrelang bewusst im rechtsfreien Raum agieren ließ, sind die Umstände dieses so späten, überhasteten Personalwechsels äußerst fragwürdig.

Der 60. Jahrestag des Bundesnachrichtendienstes bot wenig Anlass zum Feiern: Zu offensichtlich sind die durch Edward Snowden und engagierte JournalistInnen ans Tageslicht gebrachten Rechtsverstöße, denen von Seiten der Bundesregierung bis heute nicht durch gesetzliche Reformen begegnet wurde. Hinzu kamen peinliche Sicherheitspannen, wie der Fall eines enttarnten Doppelagenten (mehr dazu in einem Interview in der Neuen Osnabrücker Zeitung vom 4. April: noz.de/deutschland-welt/politik/artikel/692070/miese-stimmung-am-60-geburtstag-des-bnd

Parlamentarische Kontrollmechanismen umgingen BND und Kanzleramt lange Jahre bewusst. Sie suchten Parlament und Öffentlichkeit – vor allem direkt vor der letzten Bundestagswahl – durch dreiste Falschbehauptungen gezielt zu täuschen.

Diese nun überraschende und offenbar auch in der Regierungskoalition hochumstrittene Personalentscheidung wirft zahlreiche Fragen auf: Wir verlangen vollständige Aufklärung zu den genauen Hintergründen. Es drängt sich zwar auf, dass Präsident Schindler nach den vielen Skandalen und Versäumnissen des BND auch in seiner Amtszeit gehen muss. Derzeit spricht aber sehr vieles dafür, dass es sich um ein rein taktisches Manöver und den Versuch von Kanzleramt und Angela Merkel handelt, das unliebsame Thema irgendwie aus dem aufziehenden Bundestagswahlkampf zu halten und ein Bauernopfer zu präsentieren.

Für uns ist klar: Wir brauchen keine Bauernopfer, sondern überfällige Reformen bei den Geheimdiensten, wie wir sie gerade vorgeschlagen haben (s.o.). Die Aufgaben und Befugnissen der Dienste zu prüfen wie auch deren ministerielle Aufsicht und parlamentarischen Kontrolle zu schärfen ist drängender denn je. Hierzu haben wir dieses Frühjahr einen Antrag (dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/081/1808163.pdf) mit weitreichenden Gestaltungsvorschlägen in den Bundestag eingebracht. Als Mitglieder des Untersuchungsausschusses „NSA/BND“ werden wir weiterhin auf Klärung drängen und klarstellen, wer im Kanzleramt die Gesamtverantwortung in diesem Überwachungs- und Geheimdienstskandal trägt.

Viele Praktiken der Dienste bei der Fernmeldeaufklärung, der Datenerfassung, -rasterung und -weiterleitung des BND sind klar rechtswidrig, ebenso wie im Übrigen auch beim Verfassungsschutz. Versuchen, durch die jüngste Personalentscheidung um tatsächliche, gesetzgeberische wie strukturelle Reformen herumzukommen und grundrechtlich hochproblematischen Praktiken einfach weiterlaufen zu lassen, werden wir uns auch weiterhin mit allen parlamentarischen Mitteln entgegenstellen.