Mit Cem Özdemir im Wahlkreis unterwegs

Von Klimakrise, Welthandel bis Öko-Landbau zuhaus; von Krieg und Flucht bis zu Asyl und Integration in der Kommune; der Asyl-Deal mit der Türkei, die Böhmermann-Satire, islamistischer Terror und Europas Demokratien unter Druck – dieser weite Themenbogen zeigt, wie die großen internationalen Entwicklungen mit konkretem Engagement vor Ort zusammenhängen. In einer immer vernetzteren Welt müssen wir Innen- und Außenpolitik zusammen- und damit weiterdenken, um Lösungen für die dringlichen Fragen unserer Zeit zu finden. Nach diesem Motto war ich mit Cem Özdemir in meinem Wahlkreis unterwegs.

In der Landesunterkunft Wentorf informierten wir uns über die Integrationsarbeit in der malerisch gelegenen Einrichtung, deren Zukunft jedoch derzeit ungewiss ist. Weil weniger Flüchtlinge hier ankommen und eine teure Renovierung anstehen, möchte das Land die Unterkunft vorerst schließen. Doch die mehrfach preisgewürdigte Kooperation zwischen Rotem Kreuz und dem Runden Tisch soll nicht abbrechen. Zusammen mit unserer Fraktionsvorsitzenden aus dem Landtag, Eka von Kalben, sprachen wir mit Helfern und Verwaltung, um nach einer sinnvollen Zukunftsperspektive zu suchen.

„Mit wie viel Herzblut aber auch Professionalität angepackt wird, ist beeindruckend. Die medizinische Versorgung in Kooperation mit Krankenhäusern und Arztpraxen sollte bundesweit Schule machen“, lobte Cem. Auch Eka dachte in die Zukunft: „Nun müssen wir die Helfer einbeziehen und nach einem guten Konzept für die Zukunft suchen. Denn nur weil weniger neue Flüchtlinge kommen, bleiben Probleme, für die wir hier einen guten Ort und viel Kompetenz haben: Z.B. wenn ich an überfüllte Unterkünfte in Hamburg oder minderjährige Flüchtlinge denke.“ Nach einem leckeren syrischen Essen besichtigten wir noch das weitläufige Parkgelände.

Im nahe gelegenen Schulzentrum wurde dieses konkrete Beispiel gelingender Integration und zivilen Engagements dann in einen größeren Zusammenhang gestellt: Der grüne Bürgermeister-Kandidat Dirk Petersen begrüßte rund 150 Besucher. Zusammen diskutierten wir die eigentlichen Fluchtursachen, ihre Auswirkungen auf Deutschland, Europa und seine Nachbarn wie auch konkrete Lösungsansätze.

„Am Anfang haben in Syrien nur Studenten friedlich protestiert – sie wollten nichts anderes als Teilhabe, ein Ende von Korruption und Unterdrückung. Anstatt bei einem demokratischen Wandel mit einer breiten Übergangsregierung zu helfen, hat sich der Westen aber rausgehalten und dabei zugesehen, wie Assad die Opposition zusammenschießt. Heute sind fast nur noch Fanatiker übrig geblieben und Autokraten wie Putin oder Saudi-Arabien nützen die Krise aus. Umso mehr brauchen wir neben all der beeindruckenden Willkommensarbeit hier vor Ort auch eine aktive und dabei vorausschauende Außenpolitik, die bei den Krisen- und damit auch Fluchtursachen rechtzeitig ansetzt“, analysierte Cem. „Dazu gehört auch, mit schwierigen Akteuren zu reden. Es ist richtig, der Türkei oder Jordanien zu helfen, damit sie die Menschen gut aufnehmen können und selbst nicht noch instabiler zu werden.“

Der Umgang mit Menschenrechten und Minderheiten Ankaras macht allerdings Sorgen. „Doch gerade deswegen müssen wir reden und reisen“, betonte Cem, der das Land gut kennt. „Freilich ohne dabei unsere Grundwerte zu vergessen. Wenn wir kooperieren, gilt es Freiheit und Rechtsstaat einzufordern statt zu sie verdealen. Als die Chancen gut Standen für eine wirtschaftliche wie gesellschaftliche Öffnung der Türkei hat Angela Merkel nur Rücksicht auf ihre eigene Partei genommen und das Land sich selbst überlassen. Die realistische Perspektive auf einen EU-Beitritt wäre eine gute und sinnvolle Verhandlungsbasis für die Menschenrechte in der Türkei gewesen – jetzt hat sich die Kanzlerin hingegen erpressbar gemacht.“

Das führte mich als Jurist und Innenpolitiker zur Böhmermann-Satire über den türkischen Präsidenten Erdogan und die Debatte über Meinungsfreiheit und diplomatische Rücksichtnahme. Man mag das Gedicht geschmacklos finden und es gilt auch, auf die rassistischen Untertöne mancher neuer Böhmermann-Fans von Rechtsaußen zu achten – aber das gehört eben zum kritischen Diskurs in einer lebendigen wie gefestigt-gelassenen Demokratie dazu. Freie Meinung, Kunst und Satire muss manchmal ausgefochten oder auch mal einfach ausgehalten werden. Das hätte Angela Merkel gegenüber Erdogan erklären, statt kleinreden sollen.

Zugleich müssen wir aber wachsam sein, wo unter dem Deckmantel von Meinungs- oder Versammlungsfreiheit vorgeblich für Frauen oder Homosexuelle gekämpft, eigentlich aber nur gegen andere Minderheiten und Flüchtlinge gehetzt wird. Das können wir nicht nur dem Rechtsstaat überlassen, sondern wir alle müssen hier gerade im eigenen Alltag Stellung beziehen, uns einmischen und mithelfen. Am Tag darauf fuhr ich daher nach Bad Oldesloe, um auf einer großen, von vielen Parteien und Initiativen organisierte Antinazi-Demonstration zu unterstützten.

Doch zuvor ging es am Samstagmorgen mit Cem und unserer Landesvorsitzenden Ruth Kastner ins mitten zwischen Feldern gelegene Fuhlenhagen an der Kreisgrenze zu Stormarn. Dorthin hatten die grünen Kreisverbände aus Stormarn und Herzogtum Lauenburg auf den Buschberghof eingeladen. Hier wird in einer vorbildlichen Projektarbeit ökologische Landwirtschaft und integratives Wohnen und Ausbildung miteinander verbunden.

Bei selbst gebackenem Brot, Milch, Eiern, Käse frisch vom Hof kamen rund 20 Gäste zu einem grünen Frühstück zusammen. Der Medienandrang war groß, weil am Morgen Cems Spitzenkandidatur verkündet wurde. Doch in Fuhlenhagen ging es weiter durch Gemüsegarten, Hühner- und Kuhstall. Der Landwirt Karsten Hildebrandt führte über das schön gelegene Gelände, um über die Anfänge wie die großen Erfolge bei der ökologisch-sozialen Arbeit in der Region zu berichten. Zugleich stellen sich gerade für dieses kombinierte Konzept mit spekulativen Pachtpreisen und bürokratischer Regulierung zunehmend Probleme, für die die Grünen seit langem praxisnahe und pragmatische Lösungen fordern.

Integrative Bildungsarbeit, nachhaltig-regionale Landwirtschaft und fairer Handel – hier liegen die präventiven Lösungsansätze für viele der globalen Fluchtursachen, womit sich der Bogen dieser kleinen, aber vielseitigen Reise durch den Wahlkreis schloss.