Zum jüngsten Vorschlag von CDU/CSU und SPD für eine Reformkommission zum Wahlrecht, erklärt Konstantin von Notz, Bundestagsabgeordneter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Abgeordneter des Wahlkreis 10:

Die Koalition hat durch ihre jahrelange Blockade beim Wahlrecht wichtige Zeit verschwendet und legt jetzt kurz vor Ende der Wahlperiode einen ausgekungelten Minimalkompromiss vor. Was Union und SPD heute vorgelegt haben, wird den Bundestag nicht substanziell verkleinern und das Ergebnis der nächsten Bundestagswahl zugunsten einzelner Parteien verzerren.

Von einer Dämpfungswirkung, wie sie die Koalition verspricht, kann in Wahrheit keine Rede sein, das zeigen unsere Berechnungen deutlich. Rechnet man die Vorschläge von Union und SPD mit dem Wahlergebnis von 2017, dann wäre der Bundestag immer noch weit über seiner Sollgröße. Noch eklatanter wird das Scheitern, wenn man aktuelle Zahlen nimmt: dann hätte der Bundestag 763 Mandate. Nach der kommenden Wahl wird der Bundestag sehr wahrscheinlich noch größer werden.

Zudem verabschieden sich Union und SPD vom Grundsatz des Vollausgleichs der Mandate. Denn zukünftig werden die Kräfteverhältnisse im Bundestag nicht mehr den abgegebenen Zweitstimmen entsprechen. Einzelne Parteien – höchstwahrscheinlich CDU und CSU – werden bevorteilt, da nicht mehr alle Überhangsmandate ausgeglichen werden. Es werden Szenarien möglich, in denen die Regierung zukünftig nicht durch die Mehrheit der abgegebenen Zweitstimmen gedeckt ist. Damit findet eine Abkehr von anerkannten Wahlrechtsgrundsätzen statt.

Niemand braucht jetzt eine weitere Reformkommission, die bis zum Ende der kommenden Wahlperiode zum Wahlalter und zur Parité arbeiten soll. Bereits jetzt liegt dem Bundestag ein abstimmungsreifer Gesetzentwurf der Grünen zur Absenkung des Wahlalters auf 16 vor. Auch bei der drängenden Aufgabe, die Repräsentanz von Frauen im Bundestag zu erhöhen, brauchen wir keine Kommission, die diese zentrale Frage auf die lange Bank schiebt. Hier können wir bereits nächstes Jahr zu Ergebnissen kommen, wenn dazu  – wie in einem Gruppenantrag von Grünen und Linken vorgeschlagen – eine Kommission kurzfristig ihre Arbeit aufnimmt und zeitnah Ergebnisse präsentiert.

Mit dem Versuch, eine verfassungskonforme Reform des Wahlrechts auf den Weg zu bringen, sind Union und SPD kläglich gescheitert. Dem Bundestag liegt ein abstimmungsreifer Gesetzentwurf von Grünen, FDP und Linken vor, der sofort umsetzbar ist. Eine Sachverständigenanhörung hat bestätigt, dass er dem bewährten personalisierten Verhältniswahlrecht entspricht, verfassungsgemäß und fair ist und alle proportional gleichermaßen trifft.