Persönliche Erklärung nach § 31 GOBT zum Abstimmungsverhalten am 21. April 2021 zum Punkt 1 der Tagesordnung: „Entwurf eines Vierten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (Bundestagsdrucksache 19/28444)

Eine bundesgesetzliche Regelung der wesentlichen Fragen der Pandemiebekämpfung durch den Bundestag ist seit langem überfällig. Eine epidemische Lage nationaler Tragweite braucht auch eine nationale Antwort. Deswegen hätte es längst einen bundesgesetzlichen Stufenplan geben müssen. Allein die Koordinierung der Landesverordnungen ist inzwischen für jeden ersichtlich kein geeignetes Mittel mehr.

Sehr spät legt die Koalition nun einen Gesetzentwurf vor, der die Antwort auf die deutlich gestiegenen Infektionszahlen geben soll. Dass das Parlament überhaupt endlich mit diesen Fragen befasst wird, ist lange überfällig. Eine gesetzliche Regelung zu treffen, ist aber kein Selbstzweck. Eine solche Regelung muss auch geeignet sein, das Ziel der Pandemiebekämpfung zu erreichen.

Die erneute starke Belastung der Intensivstationen war seit längerem absehbar. Dies hätte einer frühzeitigen, wirksamen Gegenmaßnahme bedurft. Eine rechtzeitig beschlossene und so für die Bürgerinnen und Bürger vorhersehbare, zeitlich klar befristete Einschränkung des öffentlichen Lebens während der Osterferien inklusive Betriebsschließungen und Ausgangsbeschränkungen hätten wir für richtig gehalten. Das wäre eine wirksame Maßnahme gewesen, um Zeit zu gewinnen bis zur Wirkung der Impfkampagne. Und sie wäre nach unserer Einschätzung von der großen Mehrheit der Bevölkerung und der Unternehmen solidarisch mitgetragen worden. Eine solche intensive, kurzfristige Maßnahme wurde nicht vorbereitet. Aus Rücksicht auf die Unternehmen, die – im Gegensatz etwa zu Gastronomie und Handel – bislang überhaupt nicht schließen mussten, hat man schließlich ganz davon abgesehen.

Der nun nach weiterer Verzögerung vorgelegte Gesetzentwurf ist einseitig: Er beschränkt sich weitgehend auf erneut starke Einschränkungen im Privatbereich, spart jedoch geeignete Maßnahmen am Arbeitsplatz aus. Während Schulunterricht an Tests geknüpft wird, ist für berufliche Tätigkeiten, die nicht im Homeoffice ausgeübt werden können, weder für Arbeitgeber noch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auch nur eine Testpflicht vorgesehen, selbst bei regional sehr hohen Inzidenzwerten. Wir halten auch Ausgangsbeschränkungen als ultima ratio nicht per se für verfassungswidrig. Aber sie stehen in diesem Gesetzentwurf nicht in einem angemessenen Verhältnis zu den unterlassenen wirksameren und weniger einschneidenden Maßnahmen.

Solange jedoch die Menschen jeden Tag zur Arbeit fahren müssen und dort nicht einmal verbindliche Testangebote zur Verfügung stehen, steht es außer Verhältnis, sie nach Feierabend in dieser Form in Ihrer Bewegungsfreiheit zu beschränken, zumal sie die auch nachts zulässigen Kontakte mit einer Person eines anders Haushaltes im Sinne des Infektionsschutzes besser draußen als drinnen wahrnehmen sollten und die Ausgangsbeschränkung daher sogar kontraproduktiv wirken könnte.

Nach den Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts leisten vollständig geimpfte Personen keinen relevanten Beitrag mehr zum Infektionsgeschehen. Dies betrifft bereits rund 5,5 Mio Menschen in Deutschland. Gleichwohl werden auch diese Personen durch den Gesetzentwurf mit unmittelbar gegen Bürgerinnen und Bürgern wirkenden gravierenden Eingriffen wie privaten Kontaktbeschränkungen belegt, obwohl dadurch keinerlei Beitrag zur Abwendung der Überlastung des Gesundheitswesens geleistet wird. Das Gesetz schreibt eine solche verfassungsrechtlich klar erforderliche Differenzierung gerade nicht vor, sondern überlässt insoweit nicht nur die Einzelheiten, sondern auch die Frage des Obs einer solchen Differenzierung dem Verordnungsgeber.

Jenseits dieser rechtlichen Bedenken halten wir es für essentiell, das Vertrauen derjenigen Bürgerinnen und Bürger nicht zu verlieren, die nach wie vor mit großer Disziplin bereit sind, sich an die verordneten Infektionsschutzmaßnahmen zu halten. Dazu gehört nach über einem Jahr der Pandemie jedoch, dass die Regelungen möglichst nachvollziehbar begründet werden. Dies leistet der Gesetzentwurf etwa bei den Inzidenzzahlen für die Aussetzung der Präsenzbeschulung nicht.

Wir sind der Auffassung, dass die Verantwortung für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens die konstruktive Zusammenarbeit von Opposition und Regierungsfraktionen erfordert. Dabei sind auch Kompromisse erforderlich. Wir haben – etwa mit der Zustimmung zur Einführung des § 28a IfSG trotz seiner Mängel – deutlich gemacht, dass wir zu einer solchen Kompromissfindung im Parlament für die Schaffung eines rechtsstaatlichen, wirksamen Fundaments für die Pandemiebekämpfung bereit sind. Wir haben jedoch stets deutlich gemacht, dass diese Regelungen für die Bewältigung der Pandemie nicht ausreichend sein werden. Das Angebot, gemeinsam wirksame Maßnahmen rechtzeitig auf den Weg zu bringen, wurde nicht genutzt. Für die Verabredung wirksamer Maßnahmen ist zudem ein permanenter Austausch zwischen Parlament und Wissenschaft unerlässlich. Unsere Forderung nach der Einrichtung eines solchen interdisziplinären Pandemierats wird von den Regierungsfraktionen leider seit vielen Monaten nicht aufgegriffen. Dieser fehlende Austausch schlägt sich in der erneut schlechten Qualität und unzureichenden Wirksamkeit der heute vorgelegten Gesetzesinitiative nieder.

Nach Abwägung der Argumente können wir dem heute vorgelegten Gesetzentwurf nicht zustimmen. Wir sind jedoch der Auffassung, dass eine gesetzliche Regelung richtig und erforderlich ist, die wirksame, ausgewogene Maßnahmen ermöglicht. Dies würde durch eine Ablehnung nicht ausreichend dokumentiert. Mit unserer Enthaltung zu diesem Entwurf bekräftigen wir gleichzeitig unsere fortbestehende Bereitschaft, an solchen wirksamen, verfassungsfesten, absehbar notwendigen Regelungen mitzuwirken.

Konstantin v. Notz

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